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Engelsbrut - Gunschera, A: Engelsbrut

Engelsbrut - Gunschera, A: Engelsbrut

Titel: Engelsbrut - Gunschera, A: Engelsbrut
Autoren: Andrea Gunschera
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dämmerte der Morgen herauf. Kain stellte sich vor den Spiegel und suchte nach bläulichen Schatten unter den Augen, den ersten Anzeichen des Hungers. Er musste die Sucht kontrollieren, sonst fraß sie ihn auf wie andere, die er getroffen hatte. Andere, die zu Ungeheuern mutiert waren, weil Hunger zur alles dominierenden Triebkraft in ihrem Leben geworden war.
    Doch er fand nichts. Die Haut war makellos. Sein Haar, dicht und blond wie das eines Engels, fiel in zerzausten Strähnen über seine Schultern. Er entblößte seine weißen Zähne. Am Zahnfleisch entdeckte er schließlich einen grauen Schimmer, der verriet, dass der Verfallsprozess bereits einsetzte, selbst wenn er noch nichts davon spürte. Es würde etwa vierundzwanzig Stunden dauern, bis sich die dünnen Hautpartien in seinem Gesicht verfärbten, die erste sichtbare Warnung. Einen weiteren Tag, bis die Schmerzen einsetzten. Zu diesem Zeitpunkt wäre die berauschende Wirkung des Blutes endgültig verflogen. Ein gewöhnlicher Mensch wäre ihm auch weiterhin kein Gegner. Er würde jedoch auf seine Erfahrung und das Moment der Überraschung zurückgreifen müssen, falls er einem anderen Schattenläufer gegenübertrat, der über die gleichen Kräfte verfügte wie er selbst.
    Vom Schlafzimmer klang ein Rascheln herüber, wo die Hure sich unter den Laken regte.

    „Was für eine Ausstellung?“ Eve beobachtete, wie der Kaffee durchlief. Sie öffnete den Kühlschrank und nahm die Milch heraus, während sie mit der anderen Hand das Telefon ans Ohr gepresst hielt.
    „Alan Glaser.“
    „Soll mir das was sagen?“
    Greg La Rosa, ihr Agent am anderen Ende der Leitung, lachte.
    „Ehrlich“, gestand Eve, „ich bin ein Kunstbanause.“ Sie nahm die Glaskanne aus der Maschine und goss Kaffee in ihre Tasse. Zischend verdampfte Wasser auf der Warmhalteplatte. „In meinem früheren Leben habe ich Kriegsberichterstattung gemacht. Da hatten wir es nicht so mit Kunst.“
    „Hast du den nächsten Artikel über die Obdachlosenmorde fertig?“
    „Ich arbeite daran.“
    „Aber das heißt nicht, dass wir ihn morgen verkaufen können, Süße.“ Gregs Stimme bekam einen triumphierenden Unterton. „Und weil du trotzdem etwas essen musst, habe ich dir diesen Job besorgt.“
    Eve verdrehte die Augen. „Alan Glaser, ja? Was macht der Kerl? Bilder, Skulpturen, Installationen aus Schrott?“
    „Großformatige Gemälde in Acryl. Du fährst zur Vernissage in die Galerie Petrowska, trinkst ein paar Cocktails, interviewst die Galeristin und den Künstler und schreibst einen schönen Artikel. Ist für die Los Angeles People, also nicht zu intellektuell bitte.“
    „Keine Sorge.“ Eve nahm einen Schluck Kaffee. „Irgendeine Chance, dass ich Brad Pitt oder George Clooney über den Weg laufe?“
    „Falls du einen von ihnen triffst, mach unbedingt ein Foto, dann verdoppeln sie sicher das Honorar.“
    Sie musste lachen.
    „Okay“, sagte Greg, „ich verspreche denen, dass sie den Artikel Ende der Woche bekommen. Und mach eine schöne Story, hörst du? Delikate Details aus dem Alltag des Künstlers.“
    „Und wenn ich rausfinde, dass er was mit Brad Pitt hat, sind wir reich.“ Sie sah auf die Uhr. „Schick mir eine Email mit der Einladung und der Adresse, ja?“
    „Du bist die Beste.“ Gregs Stimme wurde weich. „Und mach dir keine Sorgen wegen der Straßenmordserie, okay? Ich war gestern mit dem zuständigen Redakteur von der Los Angeles Times essen, und er sagt, er wartet lieber noch ein paar Tage, wenn er dafür einen wirklich guten Text bekommt. Er will die Qualität der ersten Beiträge halten.“
    Klar, das wollte Eve auch. War nur nicht so einfach, bei der aktuellen Informationslage. Aber wenigstens hatte sie die Bilder von letzter Nacht.
    „Greg? Ich habe gestern Photos gemacht. Vom Tatort. Ich hab ein paar Großaufnahmen von der Leiche. Soll ich sie dir mailen?“
    „Jugendfrei?“
    „Natürlich nicht.“ Eve schlürfte von ihrem Kaffee. „Die ganze Straße war voller Blut.“
    Greg machte ein Geräusch, das sie nicht genau identifizieren konnte.
    „Greg?“
    „Geh zu dieser Vernissage, okay?“ Es knackte in der Leitung.
    „Greg?“
    „Mach’s gut, Eve.“ Er legte auf.

3
    K laviermusik schallte auf die Straße. Die Türen der Galerie Petrowska waren weit geöffnet. Alan Glaser warf einen Blick aus dem Fenster und betrachtete die Fackeln, die zum Eingang führten.
    „Nein“, sagte Katherina, „wir werden das nicht dulden.“
    Ihre perfekt gezeichneten
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