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Engel sterben

Engel sterben

Titel: Engel sterben
Autoren: Eva Ehley
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sollen ihre eigenen sein? Mit einer nervösen Geste streicht sie sich einige lose Haare hinter die Ohren und tritt näher an den Spiegel heran, dessen Beschichtung an einigen Stellen schadhaft ist, so dass er blinde Flecken aufweist.
    Ihr Gesicht ist blasser als sonst, trotz der leichten Sommerbräune, die einen schönen Kontrast zu ihren intensiv blauen Augen abgibt. Dass sie die Farbe durch das Tragen getönter Kontaktlinsen unterstreicht, ist ihr Geheimnis. Ebenso wie ihre gelegentliche Orientierung an Stil-Ikonen der fünfziger Jahre. Die strenge Schönheit von Kim Novak und Grace Kelly hat Mona schon als Kind beeindruckt. Und als Erwachsene hat sie lange geübt, um die »Banane« genannte schlichte Hochsteckfrisur am Hinterkopf auch ohne Hilfe einer Friseurin hinzubekommen.
    Jetzt steht sie hier vor diesem alten halbblinden Wandspiegel und lässt den Blick über ihre gerade Nase, den fein gezeichneten Mund und den langen Hals gleiten. Sie ist hübsch und sie ist erfolgreich. Da wird sie sich doch nicht von ein paar läppischen Kinderspielzeugen einschüchtern lassen. Sie wird diese Immobilie taxieren, sie wird ein Exposé erstellen, und sie wird einen Käufer finden. Und vorher wird sie den Schrecken aus diesem Haus vertreiben.
    Mit energischen Schritten verlässt Mona das türkisblaue Bad.
    Draußen auf dem Flur ist es immer noch ruhig. Keine geöffnete Tür, kein Geräusch zeugt von der Anwesenheit Rothers. Mona beschließt, dem Eigentümer noch ein wenig Zeit zu lassen.
    Das dritte Badezimmer ist wieder rosafarben. Es hat ebenso wie das mittlere eine Dusche, doch daneben hängen gleich drei Waschbecken sehr niedrig an der Wand. In diesem Raum herrscht eine ausgeprägte Unordnung. Zwei Mädchenschlafanzüge füllen zerknüllt eine Ecke. Fünf einzelne lackrote Hausschuhe liegen in einer zweiten Ecke. Automatisch sucht Mona nach dem fehlenden sechsten. Doch sie kann ihn nirgends entdecken. Stattdessen sieht sie neben der Toilette eine Barbiepuppe mit zotteligem Haar und hochmütigem Gesichtsausdruck auf einem zerfledderten
Cinderella
-Heft thronen. Verschwinde, scheint die Puppe ihr zuzuraunen. Mach, dass du wegkommst, du hast hier nichts verloren.
    Mona wendet sich ab, doch beim Hinausgehen bleibt ihr Blick an den drei Borden über den Waschbecken hängen. Dort liegen verrostete Haarnadeln und Klemmen neben stockfleckigen Seidenschleifen und Zahnbürsten, auf denen jahrzehntealte Zahncremereste zu hellgrünem Staub getrocknet sind. Der ganze Raum scheint wie das Haus in schreckhafter Bewegung erstarrt zu sein und seine Geheimnisse sorgfältig unter der feinen weißen Sandschicht zu verbergen.
    Jetzt wird es Mona zu viel. Sie liebt ihren Beruf, sie mag Häuser, egal ob riesig und pompös oder winzig und gemütlich. Sie ist darüber hinaus ein sehr kommunikativer Mensch, und es bereitet ihr selten Mühe, sich auf ihre Gesprächspartner einzustellen. Doch hier stößt sie an Grenzen. Diese Immobilie ist äußerst speziell, und Mona kann das Bedürfnis, das Haus zu verlassen und die frische Nordseeluft draußen tief zu inhalieren, kaum noch unterdrücken.
    Aber die Diele ist weiterhin leer, alle Zimmertüren sind geschlossen. Wo, zum Teufel, ist Markus Rother?
    Nach kurzem Klopfen öffnet Mona das erste der vier Zimmer auf der gegenüberliegenden Seite und findet sich in einem Mädchenparadies der siebziger Jahre wieder. Poppige Tapeten und bunte Möbel, Puppen und Teddybären, die aufgereiht nebeneinander auf Wandregalen sitzen. Ein ordentlich gemachtes Bett mit einer orangefarbenen Tagesdecke und blauen Kissen. Ein niedriger Schreibtisch mit Buntstiften und Malbüchern. Pferdeposter an den Wänden.
    Mona prägt sich den Schnitt des Zimmers ein und klopft an die nächste Tür. Als hier ebenfalls niemand reagiert, schaut sie auch in diesen Raum.
    Die Wände sind weiß gekalkt, doch ist die Farbe kaum zu erkennen, denn Fußballposter und
Bravo
-Starschnitte bedecken die meisten Flächen. Ein Schreibtisch steht unter dem Fenster. Darauf liegen stapelweise
Superman
-Hefte und Abziehbilder. Neben dem Bett ist ein Autoquartett ausgebreitet. Die abgebildeten Modelle würden heute auf dem Oldtimer-Markt Spitzenpreise erzielen.
    Mona verlässt auch diesen Raum und öffnet die nächste und vorletzte Tür. Sie vergisst zu klopfen, und als sie das Zimmer betritt, ist ihre Überraschung groß. Der Raum hat die zweifache Breite der anderen Kinderzimmer und auch zwei Türen zur Diele. Sogar die Einrichtung gibt es doppelt. Je
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