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Engel sterben

Engel sterben

Titel: Engel sterben
Autoren: Eva Ehley
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die obere Etage.«
    Die Treppenstufen knarren, ebenso die Dielen in dem schmalen Flur. Die Fußspuren des Eigentümers und der Maklerin zeichnen sich mit überscharfer Deutlichkeit in dem feinen Sand ab, der hier oben gänzlich unversehrt ist und wirkt, als sei er für eine kriminalpolizeiliche Ermittlung bestimmt. Mona ertappt sich dabei, wie sie mit schiebenden Bewegungen ihrer Füße bei jedem Schritt die Spuren verwischt. Eine idiotische und vollkommen sinnlose Aktion. Zum Glück geht Markus Rother voraus, ohne etwas zu bemerken.
    Mit energischer Stimme stellt Mona fest: »Hier sind auf beiden Seiten jeweils vier Türen. Ein symmetrischer Aufbau, sehr schön. Sind das alles Schlafzimmer und Bäder?«
    »Ganz recht. Vier Kinderzimmer, ein Elternzimmer und dazu noch drei Bäder.«
    »Drei? Das war viel für damalige Bedürfnisse.«
    »Wir waren zu sechst, da war das nötig. Aber vermutlich müssen alle Installationen ausgetauscht werden. Ein dreißig Jahre altes Waschbecken will sicher niemand haben.«
    »Das stimmt wahrscheinlich. Dann sollten wir mit den Zimmern beginnen.«
    »Bitte?«
    »Die vier Schlafzimmer. Würden Sie sie mir zeigen?«
    »Alle?«
    Mona stutzt. Was will er mit dieser Frage bezwecken? Dieser Markus Rother wird doch nicht so naiv sein, zu glauben, er könne irgendwelche Mängel vor ihr verbergen, indem er die Türen abschließt.
    »Ja, alle. Jedenfalls wäre das am besten. Spricht etwas dagegen?«
    »Nein, nein. Es ist nur … ich war lange nicht mehr hier.«
    »Ich verstehe«, erklärt Mona zögernd.
    »Hätten Sie etwas dagegen, Frau Hofacker, wenn ich zunächst allein in die hinteren Zimmer gehe?«
    »Natürlich nicht. Darf ich mich in der Zwischenzeit in den Bädern umsehen?«
    »Selbstverständlich. Warten Sie, ich zeige Ihnen, wo sie sind.«
    Rother ignoriert die erste Tür auf der linken Seite, öffnet aber nacheinander die folgenden drei Türen. Seine Hand zittert bei der Berührung jeder Klinke. Dann steht er stumm vor dem mittleren Bad und vermeidet es hineinzusehen. Stattdessen blickt er Mona auffordernd an. Für einen winzigen Moment ist sie versucht, diesem Rother die Hand auf die Schulter zu legen, um ihn ein wenig zu beruhigen. Wir haben alle unerledigte Kindheitsreste, könnte sie sagen. Oder auch: Vielleicht wäre es besser, Sie nehmen in Ruhe Abschied und wir treffen uns in der nächsten Woche noch einmal wieder.
    Aber Mona sagt nichts dergleichen. Sie wendet sich nach links und betritt den ersten Raum in der Reihe der Bäder.
    Er ist ungewöhnlich groß und gut belichtet. Wie erwartet, sind die sanitären Anlagen hoffnungslos veraltet. Doch die feine Sandschicht, die auch hier über allem liegt, verleiht der roséfarbenen Wanne und den beiden Waschbecken eine fast antike Patina. Zwischen den Becken gibt es eine schmale Tür. Vermutlich handelt es sich dabei um den Zugang zum Elternschlafzimmer, denn auf dem Bord über dem einen Waschbecken reihen sich Cremetöpfe und Schminkutensilien aneinander, während über dem anderen ein versilbertes Rasierbesteck vor beschlagenen Glasflaschen steht. Die Griffe von Pinsel und Klinge sind fleckig und schwarzblau angelaufen, das Rasierwasser in den Flakons ist bis auf dunkelgelbe Reste, die sich in den unteren Ecken abgesetzt haben, ausgetrocknet. Mona nimmt einen der Flakons zur Hand.
Tabak Original.
Der Stöpsel steckt fest und lässt sich kaum öffnen. Schließlich gelingt es, und Mona schlägt ein schwerer Duft mit einem deutlich wahrnehmbaren Unterton von Verwesung entgegen.
    Mona beeilt sich, zurück in den schmalen Flur zu kommen. Doch Markus Rother ist nirgends zu sehen. Auch sind die Türen auf der anderen Seite des Ganges alle geschlossen. Also nimmt Mona sich das nächste Bad vor.
    Es ist etwas schmaler als das Elternbad und türkisblau gefliest. Statt einer Wanne gibt es eine Dusche mit einem stockfleckigen Vorhang, der einmal hellgelb gewesen sein muss. Neben dem Vorhang liegt ein Fußball vergessen am Boden. Längst hat er seine Luft verloren, ist nur noch eiförmig und zusätzlich oben eingedellt, aber das Leder unter der Sandschicht wirkt stabil und gar nicht brüchig. Doch als Mona den Ball mit der Fußspitze berührt, gibt er nach, ohne sich vom Fleck zu bewegen, ein unbrauchbarer Spielkamerad, schlapp und altersmüde, Zeuge einer längst vergangenen Kindheit.
    Mona atmet tief durch und blickt dabei in den Spiegel, der sich über dem Waschbecken befindet. Diese weit aufgerissenen Augen unter der strengen Hochsteckfrisur
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