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Engel im Schacht

Engel im Schacht

Titel: Engel im Schacht
Autoren: Sara Paretsky
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gefragt, ob er irgend jemanden von seinen früheren Studenten sehen wolle, da hat er dich genannt. Natürlich werden alle da sein, die's zum Richter gebracht haben, aber an dich hätte Fabian sicher nicht gedacht, und das hat er gewußt.« Ihre Stimme und ihr Gesichtsausdruck wurden sanfter, sie sah jetzt beinahe zerbrechlich aus. »Wie viele Leute kommen?«
    »Fünfunddreißig. Der Sohn von Senator Gantner kommt auch. Wenn ich könnte, würde ich mich bei dir im Keller verstecken. Ich schaue am Freitagnachmittag bei dir vorbei.« Sie schlang den Mantel um ihre hochgezogenen Schultern, wartete, ob irgend jemand von den anderen sie begleiten würde, und ging dann allein hinaus. »Irgendwas stimmt nicht mit der Frau«, meinte Sal, nachdem wir die Haustür hinter ihr ins Schloß hatten fallen hören. »Ich hab' das Gefühl, daß sie sich in einem der Betten oben wohler fühlen würde als hier unten bei uns am Tisch.« »Sie ist einfach schüchtern«, erwiderte Marilyn. »Sie bereitet sich immer auf die Beiratssitzungen hier vor, und ich weiß, daß sie wertvolle Arbeit für Home Free leistet. Ist gar nicht so leicht, so ganz ohne Beruf dazustehen, wenn alle anderen einen haben. Wieso hat sie sich denn gerade so aufgeregt, Vic? Wegen deiner obdachlosen Familie?« »Nein. Sie und Fabian geben am Mittwoch eine große Party, aber Deirdre macht ein solches Trara darum, daß ich schon überlege, ob ich mir kurzfristig eine Grippe zulege. Sie bereitet das ganze Essen für fünfunddreißig Leute vor. Er verdient doch nicht schlecht - warum können sie keinen Partyservice beauftragen?« »Was, du bist bei Fabian Messenger eingeladen?« Sal lachte. »Ist das nicht dieser aufgeblasene Republikaner-Berater? Was habt ihr zwei denn gemein?« Jetzt lachte ich. »Bloß die Tatsache, daß wir damals, in der Blütezeit der Studentenrevolte, zusammen studiert haben. Er hat während des berühmten Sit-ins die Namen für die Verwaltung aufgenommen, und ich habe zur gleichen Zeit drinnen mitgeholfen, die erste Frauengewerkschaft zu organisieren. Dann hat er drei Jahre lang als Assistent beim Obersten Gerichtshof gearbeitet und ist mit Glanz und Gloria an seine Alma mater zurückgekehrt. Jetzt sitzt er rechts von den Rechten, während ich in einem Rattenloch in der Innenstadt residiere. Apropos: Sal, hast du 'ne Ahnung, wie ich an ein neues Büro kommen könnte? Wenn ich nämlich nicht bald was finde, muß ich in dein Büro im Golden Glow ziehen.«
    Sal legte mir den Arm um die Schulter. »Tja, das ist eine ernsthafte Drohung, meine Liebe. Aber ich hab' dir ja von Anfang an gesagt, daß das Golden Glow ein Glückstreffer ist: Die meisten Sachen, die ich kaufe und verkaufe, sind Sanierungsobjekte in Wohngebieten, in denen du wahrscheinlich nicht arbeiten möchtest. Vielleicht könnte ich was Passendes finden, aber im Moment läuft das Geschäft nicht so gut. Verlaß dich lieber nicht darauf.«
    Sal hatte auch den Kauf und den Wiederaufbau von Arcadia House initiiert, aber das war am Logan Square, zu weit weg vom Loop, der Chicagoer Innenstadt, wo der größte Teil meiner Kunden sitzt.
    »Was ich brauche, Sal, ist ein ganzes Haus. Ich könnte oben wohnen und unten arbeiten.«
    Meine Stimme klang sarkastisch, aber sie hob interessiert eine Augenbraue. »Keine schlechte Idee, Vic. Mach dich mal lieber nicht drüber lustig.«
    Wir gingen miteinander hinaus. Marilyn und Lotty, die sich gerade über die problematische Schwangerschaft einer Bewohnerin des Frauenhauses unterhielten - jemand hatte ihr im sechsten Monat in den Unterleib getreten -, zockelten hinter uns her. Ich hielt mich in der Nähe von Lotty, bis Marilyn und Sal weg waren.
    »Warum warst du wegen der Frau im Pulteney so wütend auf mich?« wollte ich wissen.
    »Bin ich wütend? Vielleicht. Manchmal habe ich den Eindruck, daß du zu selbstherrlich über das Leben anderer Menschen entscheidest.«
    »Wenn eine Ärztin jemand anders selbstherrlich nennt, ist was im Busch.« Ich versuchte, das Ganze witzig klingen zu lassen, aber der Witz ging in die Hose. »Ich will mich der Frau gegenüber nicht als Göttin aufspielen; ich weiß einfach nicht, wie ich ihr helfen soll.«
    »Dann mach eben nichts. Oder mach was Cleveres: Überlaß es den zuständigen Behörden, sich den Kopf zu zerbrechen. Vic, ich mache mir immer Sorgen, wenn du anfängst, dich in das Leben anderer Leute einzumischen. Dann muß gewöhnlich jemand leiden. Oft bist du das, und es fällt mir schwer, das mit anzusehen, aber
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