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Engel des Todes

Engel des Todes

Titel: Engel des Todes
Autoren: Michael Marshall
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nie erfahren, für deren Tod er nie zur Rechenschaft gezogen würde. Das letzte Mal hatte ich es nicht geschafft abzudrücken. Ob John recht hatte, mich dafür zu hassen, wusste ich nicht, doch wenn ich es jetzt wieder nicht tat, hatte er, so schien es mir, allen Grund dazu.
    Sie kam von hinten auf mich zu. Sie sagte nichts und versuchte auch nicht, mir die Waffe aus der Hand zu nehmen. Ich spürte nur ihren warmen Atem im Nacken. Der Mann zu meinen Füßen versuchte sich zu bewegen, seine Hände glitten matt an der Felswand entlang, wie zwei bleiche Geschöpfe in ihren letzten Zügen. Ich weiß nicht, was bei den Wahnsinnigen falsch läuft, aber Willenskraft haben sie. Vielleicht fehlen ihnen die Hemmungen, die wir normalen Sterblichen haben, oder vielleicht mache ich mir nur etwas vor. Vielleicht denken sie auch klarer, unbehindert von Ängsten und moralischen Skrupeln, die uns von Kindesbeinen an begleiten. Vielleicht haben sie den Mut, ihr magisches Denken mit den Sternen zu verbinden. Für den Mann zu meinen Füßen reichte aber Willenskraft allein nicht mehr. Er konnte sich nicht mehr rühren, er hatte keine Waffe, und er würde keinem mehr etwas zuleide tun.
    Ich konnte ihn immer noch erschießen. Keiner hätte mir deswegen einen Vorwurf gemacht. Connelly beobachtete mich von seinem Posten oben auf der Schlucht. Sein Gesicht war wachsbleich, und sein Atem ging schwer, aber der Lauf seines Gewehrs zitterte nicht. Er sah aus, als würde er einen zweiten Schuss abgeben, wenn ich es nicht täte. Was John wollte, war mir klar. Phils Haltung in dieser Frage kannte ich nicht. Er schien ein friedfertiger Bursche zu sein, aber nachdem der Upright Man ihn ins Bein geschossen und ihn anschließend mit dem Kopf eine ganze Weile unter Wasser gehalten hatte, vermutete ich, dass er es in diesem Fall eher mit den Falken hielt.
    Am Ende ließ ich meine Waffe fallen.
    »Weichei«, brummte John. Nina ging zu ihm hinüber, kauerte sich neben ihn und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Sie sprach eine ganze Weile mit ihm, dann nahm sie ihm die Waffe ab.
    Sie kam zurück und stellte sich, die Waffe auf Paul gerichtet, auf meinen Platz, während ich Connelly beim Abstieg in die Schlucht half. Er war in einer schlimmen Verfassung, aber nicht so verstört wie ich. Wer sich wie er den ganzen Weg bis hierher geschleppt hatte, würde nicht so rasch schlappmachen.
    Er humpelte an meiner Seite bis zu der Stelle, wo nach Ninas Aussage Phil liegen sollte. Er wollte helfen, doch am Ende war ich es, der seinen jungen Kollegen zu den anderen trug. Dort setzte ich ihn mit dem Rücken gegen die Felswand, gerade Paul gegenüber. Connelly ließ sich neben Phil nieder, das Gewehr wieder auf Paul gerichtet.
    Ich wusste nicht, wie es weitergehen sollte. Es schneite immer noch, zwar nicht mehr so stark, aber ein Ende war nicht abzusehen. Und wir saßen hier fern aller Zivilisation fest. Weder Phil noch Connelly waren in der Lage, aus eigener Kraft zurückzugehen, und das Funkgerät des Sheriffs empfing keine Signale. John schien nicht allzu schwer verletzt: Nach seinem Mantel zu urteilen hatte Ninas Schuss nur eine Fleischwunde am Arm verursacht. Mir gegenüber äußerte er sich nicht, ja er schaute mich nicht einmal an.
    Nina holte die alte Frau. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass sie da war. Sie sah schrecklich verfroren aus. Nur ein aus Dauerfrostboden gebuddelter prähistorischer Mammutjäger samt Mammut konnte noch verfrorener aussehen. Sie redeten kurz miteinander, dann ging Nina zu Connelly hinüber und bat ihn um sein GPS -Gerät.
    »Das brauchen Sie nicht«, sagte die alte Frau. »Ich kenne den Weg.«
    Nina steckte es trotzdem ein. Sie kam zu mir und rubbelte mir den Arm. Sie zog ihren Mantel aus und gab ihn mir.
    Dann machte sie sich mit der alten Frau auf den Rückweg.
    »Ich gehe mit euch«, sagte John. Er stand ohne fremde Hilfe auf.
    »Wir schaffen das allein, danke«, sagte Nina.
    »Mag sein. Aber hier in der Gegend gibt es Bären. Auf dem Hinweg habe ich einen gesehen. Schien mir wenigstens so.«
    Nina schaute mich an. Ich zuckte nur die Achseln. Ich suchte mir einen großen, flachen Felsen ein paar Schritte von Paul entfernt, setzte mich und sah zu, wie die anderen gingen.
    In der Nacht stutzte ich zweimal über etwas, was ich nicht verstand.
    Das erste Mal betraf es Phil und Connelly. Ich hörte sie leise miteinander reden.
    Phil sagte: »Sie haben es immer gewusst, nicht wahr, Chef?«
    »Ich war in jener Nacht mit deinem Onkel zusammen«,
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