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Engel des Todes

Engel des Todes

Titel: Engel des Todes
Autoren: Jo Zybell
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konnte er nicht –, doch er senkte sein optisches Energieniveau zugunsten seines akustischen ab.
    Akkorde wie unerwartete Schritte einer Rechenoperation – folgerichtig, aufeinander aufbauend, miteinander verwoben, zu dem einzig möglichen Schluß führend. Unglaublich!
    Plötzlich registrierte er den Rothaarigen am Flügel nur noch beiläufig, plötzlich schwelgte er in Molekülstrukturen, die sich in Zahlen und Zeichen auflösten, plötzlich erfüllten Zahlen und Zeichen sein Bewußtsein, vereinigten sich zu einem Fluß, der wieder zu einer kristallinen Struktur zusammenströmte, zur einzig logischen. Seine Prozessoren wurden warm, sein Quantenkern vibrierte und schien plötzlich über seinen blauen Kristallkörper hinauszuwachsen. Die Welt kam ihm vollkommen vor in diesen Sekunden, durchschaubar, und sogar sinnvoll.
    Vielleicht war es das, was sie »Rausch« nannten oder »Ekstase« oder »Orgasmus«.
    Dieser letzte Gedanke riß ihn schon wieder heraus aus dem, was die Organhirner vermutlich »Rausch« oder »Ekstase« oder »Orgasmus« nannten. Der Mann am Flügel aber schloß jetzt tatsächlich die Augen. Das Geflecht von Akkorden wollte den Kuppelraum sprengen, brachte seine Kristallhaut zum Schwingen. Der Mann am Flügel verlor sich in seiner Musik, das rote Langhaar flog ihm um Schultern und Wangen. Er beneidete ihn. Erstaunlich – er war in der Lage, einen Organhirner zu beneiden!
    Meldung des Ersten Offiziers , mogelte sich in eine Stimme in die Töne und Akkorde. Die Stimme des Bordhirns. Primoberst Cludwich und Primoberst Robinson mit Begleitern sind an Bord gekommen. Sie erwarten den Subgeneral in der Kommandozentrale.
    In den wenigen Stunden, die der Kommandant der JOHANN SEBASTIAN BACH nicht in seinem Kommandostand verbrachte, lehnte er es ab, die Kunststimme des Bordhirns hören zu müssen. Er, sein ständiger Begleiter, speicherte und filterte die Informationen aus der Kommandozentrale und übermittelte sie zur gegebenen Zeit an Merican Bergen, falls sie wichtig waren.
    Diese war wichtig.
    Er stelzte zum Piano, legte seine Rechte auf den schwarzen Rahmen und wartete. Töne und Akkorde perlten nun hinter einen unsichtbaren Horizont – leise, geheimnisvoll, verschworen folgte einer dem anderen.
    Er hob seinen kristallinen Kopf. Über der Kuppel glitzerten fremde Sternkonstellationen. Er sah über den Flügel hinweg durch den Heckteil der gewaltigen Frontkuppel. Die Kuppeln über dem Maschinen- und Gefechtsleitstand auf dem Heckquerholm waren erleuchtet. Auch die Triebwerke konnte man von der Privatsuite des Kommandanten aus zur Hälfte sehen. Ihre Öffnungen glühten nicht. Helles Licht durchflutete den Raum außerhalb des Omegaschiffes, ein Licht, in dem der mattschwarze Rumpf der JOHANN SEBASTIAN BACH wie ein Spalt zu einer anderen, lichtlosen Welt wirkte. Sie und ihre beiden Begleitschiffe schwebten in der Korona einer Sonne.
    Bergen holte Töne und Akkorde noch einmal hinter dem Horizont hervor, jagte sie noch einmal durch den Kuppelraum und drückte einen Schlußakkord in die Tasten. Ohne Eile schloß er danach den Deckel der Klaviatur und stand auf. »Sie sind gekommen, Heinrich?«
    »Alle. Sie warten bereits.«
    »Gut.« Der Subgeneral ging in die Naßzelle, spritzte sich das Gesicht mit kaltem Wasser ab, trocknete sich Haar und Haut, tupfte Parfüm auf seine Schläfen. Heinrich sah es nicht – er hörte, roch und wußte es. Vorsichtig hob er den Deckel von der Klaviatur. Behutsam glitten seine kristallinen Fingerbeeren über einige Tasten. Seine Tastsensoren spürten Wärme, eine augenscheinlich glatte, aber in Wahrheit ziemlich rissige Oberfläche. Elfenbein?
    Der Subgeneral kam aus der Naßzelle. »Gehen wir.« Schon strebte seine kleine, drahtige Gestalt dem Schott entgegen. Heinrich blickte ein letztes Mal auf die Tasten, schloß dann den Deckel und folgte Merican Bergen auf den kurzen Verbindungsflur zwischen Zentrale und Kommandantensuite hinaus. Hinter ihnen schloß sich geräuschlos das Schott.
    Heinrich rief die Molekülstrukturen und Zahlenreihen der letzten halben Stunde in sein Bewußtsein zurück. Sofort erfüllten Töne und Klänge ihn wieder bis tief in seinen Quantenkern. Selten spielte Merican diese Fuge. Sie stammte natürlich von jenem Manne, dessen Name das Flaggschiff trug. Ein gewaltiges Stück Musik, soweit er das beurteilen konnte – wie kam er eigentlich zu dem Urteil? –, zuletzt hatte er es Merican vor achtzehn Jahren spielen hören; nach dem Abschied von
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