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Endstation Venedig

Endstation Venedig

Titel: Endstation Venedig
Autoren: Shaya
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etwas in der Hand und kam damit auf mich zu. Was es war, weiß ich nicht, vielleicht nur ihre Handtasche. Sie hat etwas geschrieen, aber ich weiß nicht, was. Ich konnte sie nicht verstehen, vielleicht war ich auch zu überrascht. Oder zu erschrocken.
    Er drehte das Handtuch wieder um;
    die Blutung wollte nicht aufhören.
    Sie kam zum Schreibtisch und schlug auf mich ein, dann fing sie an, alle Papiere auf dem Schreibtisch zu zerfetzen. In dem Moment kamen die Pfleger dazu, aber sie war wie von Sinnen, völlig hysterisch. Einen von ihnen hat sie zu Boden geschlagen, und ein anderer ist über ihn gestolpert. Was dann passiert ist, habe ich nicht mitbekommen, weil ich Blut in den Augen hatte. Aber als ich es abgewischt hatte, war sie verschwunden. Zwei Pfleger waren noch da, auf dem Boden, aber sie war weg.
    Brunetti sah fragend zu Vianello, der antwortete: Nein, Commissario. Sie ist nicht draußen. Sie ist einfach verschwunden. Ich habe mit zweien der Pfleger gesprochen, aber sie haben keine Ahnung, wo sie geblieben ist. Wir haben drüben in der Casa di Riposo angerufen, ob einer ihrer Patienten vermißt wird, aber die sagen nein. Es war Essenszeit, da konnten sie ihre Leute gut zählen.
    Brunetti wandte sich wieder an Bonaventura.
    Haben Sie eine
    Ahnung, wer die Frau gewesen sein könnte, Dottore?
    Nein, gar keine. Ich hatte sie noch nie gesehen. Ich habe auch keine Ahnung, wie sie hereingekommen ist.
    Hatten Sie Sprechstunde?
    Nein, wie ich Ihnen schon sagte, habe ich hier Papierkram erledigt, meine Notizen übertragen. Und ich glaube auch nicht, daß sie aus dem Wartezimmer gekommen ist. Ich glaube, sie kam von da drüben.
    Er deutete auf die Tür am anderen Ende des Raumes.
    Was ist dahinter?
    Die Leichenhalle. Ich hatte eine halbe Stunde vorher gerade eine Obduktion beendet und war dabei, meine Notizen zu einem Bericht zusammenzuschreiben.
    Bei der wirren Erzählung des Arztes hatte Brunetti seine Wut vergessen. Ihm war plötzlich kalt, kalt bis ans Herz, aber es war kein Gefühl der Wut.
    Wie sah die Frau aus, Dottore?
    Eine ganz gewöhnliche dicke, kleine Frau, und ganz in Schwarz.
    Und Ihre Notizen, worum ging es da?
    Wie ich schon sagte, um die Autopsie.
    Welche Autopsie?
    fragte Brunetti, obwohl er wußte, daß seine Frage eigentlich überflüssig war.
    Wie hieß er noch? Der junge Mann, den sie letzte Nacht gebracht haben, Rigetti? Ribelli?

    Nein, Dottore, Ruffolo.
    Ja, genau. Ich war gerade fertig mit ihm. Er ist wieder zugenäht.
    Die Familie sollte ihn um zwei Uhr abholen, aber ich war etwas früher fertig und wollte den Bericht zusammenstellen, bevor ich mit dem nächsten anfing.
    Erinnern Sie sich an irgend etwas, was sie gesagt hat, Dottore?
    Ich habe doch schon gesagt, daß ich sie nicht verstanden habe.
    Bitte, versuchen Sie nachzudenken, Dottore , sagte Brunetti, um einen ruhigen Ton bemüht.
    Es könnte wichtig sein. Irgend-
    welche Wörter? Sätze?
    Bonaventura schwieg, und Brunetti bohrte nach.
    Hat sie italienisch gesprochen?
    So was Ähnliches. Einige Wörter klangen italienisch, aber der Rest war Dialekt. Der schlimmste, den ich je gehört habe.
    Auf
    Bonaventuras Handtuch waren keine sauberen Stellen mehr.
    Ich
    glaube, ich muß jetzt mal die Wunde versorgen lassen , meinte er.
    Gleich, Dottore. Haben Sie irgend etwas verstanden?
    Ja, natürlich, sie hat geschrieen: >Bambino, bambino<, aber der junge Mann war nicht ihr bambino. Sie war bestimmt über sechzig.
    Das war sie nicht, aber Brunetti sah keinen Grund, ihm das zu sagen.
    Haben Sie sonst noch etwas verstanden, Dottore?
    fragte Bru-
    netti noch einmal.
    Bonaventura schloß die Augen unter dem vereinten Gewicht von Schmerz und Nachdenken.
    >Assassino<, aber damit hat sie wohl mich gemeint. Sie hat gedroht, mich umzubringen, aber dann hat sie mich nur geschlagen. Das ergibt alles keinen Sinn. Keine zusammenhängenden Sätze oder so etwas, nur Lärm, wie ein Tier. Dann kamen, glaube ich, die Pfleger herein.
    Brunetti wandte sich ab und deutete mit dem Kopf zur Leichenhalle.
    Ist die Leiche da drin?
    wollte er wissen.
    Ja, das sagte ich doch schon. Die Familie sollte sie um zwei Uhr abholen.
    Brunetti ging hin und stieß die Tür auf. Drinnen, nur ein paar Meter von ihm entfernt, lag Ruffolos Leiche nackt und bloß auf einer metallenen Bahre. Das Tuch, das den Körper bedeckt hatte, lag zer-knüllt auf dem Boden, als wäre es heruntergerissen und hingeworfen worden.
    Brunetti machte ein paar Schritte in den Raum und sah auf den jungen
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