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Endstadium

Endstadium

Titel: Endstadium
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Artikel geben. Mein Mann will es so. Es ist ja wirklich ein Übersiedeln. Mein Mann zieht für den Rest seines Lebens nach Gran Canaria. Für wenige Wochen. Ich hoffe, er ist noch kräftig genug für den Flug. Er kann seit Wochen kaum noch gehen. Justus ist schon so schwach. Wir können nicht mehr länger warten.«
    Sie blickte Stephan flehend an.
    »Wir zählen auf Sie, Herr Knobel. Mein Mann braucht Sie. Sie werden für ihn mehr als bloß sein Anwalt sein. Sie sind der Begleiter seines letzten Weges. Deshalb wird es auch für Sie nicht einfach sein, aber Sie werden selbstverständlich Ihre Freiräume haben. Das Hotel ist wirklich gut. Sie werden Zeit für Ihre Freundin und füreinander haben. Genießen Sie die Zeit in dem Bewusstsein, dass dieser Genuss nicht selbstverständlich ist. Sie wissen zu gut, was ich meine. Nehmen Sie den Aufenthalt als Start in ein neues Lebensbewusstsein.«
    Sie hielt Stephans Hand lange gedrückt.
    Er sagte ohne Zögern Ja.
     

5
    Marie erfuhr von der bevorstehenden Reise erst am nächsten Morgen. Stephan wollte innehalten auf dem mit ihr begonnenen gemeinsamen Weg, eine Pause nach dem anstrengenden Umzug, ein Durchatmen nach dem Ausscheiden aus der alten Kanzlei, ein Tapetenwechsel für die an ihren erfolglosen Bewerbungen leidende Marie. Wie frustrierend musste es sein, trotz guten Examens keine geeignete Stelle als Germanistin zu finden? Marie verstieg sich in den Aufbau ihres gemeinsamen Haushalts und wusste zugleich, dass sie darin keine Erfüllung finden würde. Das neue Leben verlangte ein erstes Einhalten. Marie willigte ein, erst zaudernd, dann erlöst lächelnd. Sie würden sich umeinander bemühen müssen. Das Zusammenleben barg die Gefahr der Gewöhnung.
     
    Der am selben Tage in einer Dortmunder Zeitung erschienene kleine Artikel, betitelt mit ›Zum Sterben nach Gran Canaria‹ wirkte dagegen nebensächlich:
    ›Der unheilbar an Lungenkrebs erkrankte Dortmunder Tiefbauunternehmer Justus Rosell steht vor dem Ende seines Lebens. Es gebe keine Hoffnung mehr, sagte er unserer Zeitung auf Anfrage. Sein einziger Wunsch sei, seine letzten Tage mit seiner Frau auf Gran Canaria zu verbringen. Rosell besitzt dort ein Haus in Küstennähe, in das er sich zurückziehen will. Er wird von seiner Frau begleitet und vor Ort von seinem Rechtsanwalt Stephan Knobel unterstützt, die ihn auf seinem letzten Weg betreuen. Gestern verabschiedete sich Rosell von seiner Haushälterin, die einstweilen weiter im Haus der Rosells in Dortmund bleiben wird. Rosell hatte vor rund zwei Jahren den ihn behandelnden Facharzt für Innere Medizin, Jens Hobbeling, auf Zahlung eines erheblichen Schmerzensgeldes verklagt, weil er es schuldhaft versäumt habe, den damals noch operablen Tumor zu erkennen. Rosell verlor den Prozess, weil er seine Behauptung nicht beweisen konnte (wir berichteten).‹
    Neben dem knappen Artikel befand sich das Foto, das Stephan bei den Rosells zu Hause gesehen hatte. Die Bildunterschrift lautete:
    ›Die Eheleute Rosell am Strand von Maspalomas. Dort möchte Justus Rosell seine letzten Tage verbringen.‹
     
     

6
    Eine Woche später flogen Marie und Stephan nach Gran Canaria. Der Flug ging um vier Uhr morgens ab Köln/Bonn. Sechs Stunden später kamen sie erschöpft im Hotel Villa del Conde in Maspalomas an. Die Empfangshalle des Hotels war eine imposante Nachbildung der Kathedrale von Agüimes. Die unterhalb dieses Prunkbaus sich bis zur Küstenpromenade erstreckende Hotelanlage bestand aus einer Vielzahl architektonisch unterschiedlich gestalteter kleinerer und größerer Einzelbauten, aufgelockert durch dazwischen liegende Pool- und Liegeflächen. Sie wirkte in ihrer Gesamtheit wie ein historisch gewachsenes kanarisches Dorf. Villa del Conde hieß Dorf des Grafen. Marie und Stephan folgten einem Hotelangestellten durch ein lang verzweigtes Flursystem, über das sie endlich ihr Ziel erreichten: ein geräumiges in Beige und warmen Rottönen gestaltetes Zimmer mit großem Bad, separatem Ankleideraum und einem Balkon. Von ihm eröffnete sich nach rechts der Blick über die wie kleine Seen gestalteten Schwimmbecken bis hinauf zur Kathedrale und nach links der Ausblick auf den Atlantik, der azurblau bis an den Horizont reichte, gesäumt von der gefurchten Küste mit ihren rötlichbraunen schroffen Felsen. Im Hintergrund, etliche Kilometer entfernt, standen auf einer ins Meer ragenden Landzunge hohe, wie unförmige Bausteine wirkende Gebäude. Es waren jene Häuser, die Stephan
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