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Endlich

Endlich

Titel: Endlich
Autoren: Christopher Hitchens
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Entweder das, oder der Wirt findet Mittel und Wege, ihn auszumerzen und zu überleben.
    Doch gibt es – wie ich schon vor meiner Erkrankung wusste – Leute, für welche diese Erklärung unbefriedigend bleibt. Für sie ist ein nagendes Karzinom tatsächlich etwas entschlossen und bewusst Handelndes, ein langsam vorgehender suizidaler Mörder, mit einer geheiligten, vom Himmel empfangenen Mission. Man hat nicht wirklich gelebt (wenn ich das so formulieren darf), wenn man nie Beiträge wie den folgenden auf den Webseiten der Gläubigen hat lesen dürfen:
    Wer denkt wie ich, dass der tödliche Halskrebs (sic!) von Christopher Hitchens Gottes Rache an ihm anzeigt, weil er seine Stimme gebraucht hat, um ihn zu lästern? Atheisten ignorieren sehr gerne die TATSACHEN. Sie tun so, als wäre alles nur ein großer Zufall. Wirklich? Es ist bloß ein »Zufall«, dass von allen möglichen Körperteilen Christopher Hitchens ausgerechnet in dem einen Teil seines Körpers Krebs bekommt, den er zum Lästern gebraucht hat? Ja glaubt nur weiter daran, ihr Atheisten. Er wird sich in größten Schmerzen winden und dahinsiechen und dann eines schrecklichen qualvollen Todes sterben und DANN geht der Spaß erst los, wenn er ins HÖLLENFEUER geschickt wird, um dort gefoltert und gebrannt zu werden.
    Es gibt zahlreiche Passagen der heiligen Schriften und der religiösen Überlieferung, die ein solches Händereiben für viele seit Jahrhunderten zu einem zentralen Glaubenssatz haben werden lassen. Lang schon, ehe die Sache mich ganz persönlich anging, waren mir die naheliegenden Einwände klargeworden. Zunächst – wer unter den bloßen Primaten kann sich denn so verdammt sicher sein, dass er den Willen Gottes kennt? Zweitens – würde es jenem anonymen Autor gefallen, wenn meine schuldlosen Kinder seine Auslassungen lesen (die es augenblicklich auch nicht leicht haben, und zwar infolge des Eingreifens desselben Gottes)? Drittens – weshalb nicht ein Blitz vom Himmel auf mich armen Sünder, oder etwas vergleichbar Ehrfurchtgebietendes? Die rächende Gottheit hat ein peinlich geschrumpftes Arsenal, wenn ihr nichts anderes einfällt als genau die Art Krebs, den mein Alter und mein einstiger Lebensstil statistisch ohnehin nahelegen. Viertens – warum überhaupt Krebs? Fast alle Männer bekommen Prostatakrebs, wenn sie lange genug leben. Das ist eine recht würdelose Angelegenheit, aber das Syndrom ist bei Heiligen und Sündern, Gläubigen und Ungläubigen gleichermaßen verbreitet. Wenn jemand darauf besteht, dass Gott passende Krebserkrankungen austeilt, muss er auch erläutern, weshalb so viele kleine Kinder Leukämie bekommen. Fromme Menschen sind jung und unter Schmerzen gestorben. Bertrand Russell und Voltaire dagegen blieben bis zum Ende munter, ebenso viele kriminelle Psychopathen und Tyrannen. Diese Heimsuchungen scheinen also fürchterlich zufällig. Meine bis jetzt noch nicht vom Krebs befallene Kehle ist – wie ich mich beeile, dem oben zitierten christlichen Wortmeldungsverfasser mitzuteilen – keineswegs das einzige Organ, mit dem ich gelästert habe. Und selbst wenn meine Stimme vor mir dahingeht, werde ich weiterhin Polemiken gegen religiöse Wahnvorstellungen schreiben, zumindest, bis es heißt: Hello darkness my old friend … Und insofern: Weshalb denn nicht ein Hirntumor? Als verängstigter, halbbewusster Schwachsinniger würde ich vielleicht bei Geschäftsschluss sogar nach einem Priester schreien, obwohl ich hier im Übrigen – solange ich noch bei klarem Verstand bin – hinterlassen möchte, dass das sich solcherart demütigende Wesen dann nicht mehr »ich« wäre. (Dies möge man im Gedächtnis behalten, im Fall späterer Gerüchte oder Erfindungen.)
    *
    Besonders interessant im Leben des Todkranken ist der Umstand, dass man einerseits viel Zeit darauf verwendet, sich auf ein Sterben in stoischer Haltung vorzubereiten (und sich um die Vorsorge für die einem Nächststehenden zu kümmern), während man gleichzeitig überaus interessiert ist am Geschäft des Überlebens. Das ist eine durchaus bizarre Form der Existenz, Rechtsanwälte am Morgen und nachmittags Ärzte, und es bedeutet, dass man mehr noch als sonst in einem Widerspruch lebt. Das Gleiche gilt offenbar für die, welche für mich beten. Und die meisten davon sind ebenso »religiös« wie der Mann, der möchte, dass ich schon im Diesseits gefoltert werde (was ja auch geschehen wird, selbst wenn ich mich schließlich wieder erholen sollte), um dann noch dazu
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