Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Empty Mile

Empty Mile

Titel: Empty Mile
Autoren: Matthew Stokoe
Vom Netzwerk:
um diese Zeit, während die Touristen, die keinen blassen Schimmer hatten, wie schön der See war, sich von der mühsamen Zufahrt abschrecken ließen.
    Der Weg, auf dem wir uns befanden, führte praktisch an dem gesamten Strand entlang bis zu einem unbefestigten Parkplatz mit einem öffentlichen Toilettenhäuschen an einem Ende. Dahinter lagen ein Bungalow mit einer angrenzenden Scheune und eine Ansammlung verwitterter, verwahrloster Hütten am äußersten Ende des Strandstreifens. Dort ragte ein Holzsteg ins Wasser hinein. An dessen Ende lag umgekippt ein kleines Ruderboot, dessen weißer Anstrich in der Sonne abblätterte.
    Gareth und ich parkten auf dem Stellplatz und stiegen aus den Fahrzeugen aus. Er ging ein paar Schritte auf den Bungalow zu, dann drehte er sich zu mir um und breitete die Arme aus.
    »Da wären wir, Johnny. Mein Reich.«
    Der Bungalow und die Hütten waren, genau wie der Weg, in den dreißiger Jahren vom Conservation Corps angelegt worden. Man hatte sie als Unterkünfte für die Männer benutzt, die überall im Hügelland rund um das Becken von Oakridge Wanderwege angelegt hatten. Als man sie zusammengezimmert hatte, ging man vermutlich davon aus, dass sie eine Lebensdauer von zwei bis drei Jahren haben würden, doch da die Fundamente und Mauern solide ausgeführt waren, überdauerten sie am Ende mehr als siebzig Jahre. Die Vertäfelung hatte man inzwischen natürlich weitgehend auswechseln müssen, während die Dächer ein Flickenmuster aus Wellblech bildeten.
    Solange ich mich erinnern konnte, diente die Anlage als billiges Motel für die wenigen Touristen, die die Straße bezwangen, oder die Einheimischen, die nach einem Grillfest so betrunken waren, dass sie es nicht mehr den Berg runter schafften. Die Besitzer hatten in schöner Regelmäßigkeit gewechselt, doch als ich das letzte Mal hier gewesen war, war das Motel eines der vielen Unternehmungen von Bill Prentice, ein armseliger Verwandter seines erfolgreicheren Gartenzentrums.
    Ein rot-weißer Neonschriftzug
Rezeption
leuchtete im Fenster des Bungalows, der jetzt als Büro mit Blick auf den See diente. Ich sah durch die staubigen Vorhänge nichts Genaues, hatte aber nicht den Eindruck, als würde im Inneren jemand darauf warten, dass die Geschäfte in Schwung kamen.
    Gareth führte mich hinein. In dem Büro stand ein weißer, mit Zetteln und leeren Kaffeebechern übersäter Resopalschreibtisch. Dahinter befand sich eine Tür, durch die wir in einen Flur gelangten. Die Zimmer, an denen wir vorüberkamen, lagen im Halbdunkel; der Geruch von kaltem Bratfett und Urin lag in der Luft.
    Der Flur endete an einer großen Kombination aus Küche und Wohnzimmer. Ein stattliches Fenster, das Ausblick auf die Scheune und den Wald dahinter bot, beherrschte fast die gesamte gegenüberliegende Wand. Den Wohnzimmerbereich des Raumes schmückte ein staubiger, abgetretener Teppichboden, darauf eine unordentliche, zerschlissene Polstergarnitur. Asche lag im Rost des gemauerten Kamins, daneben stand ein zerkratzter Kartentisch mit den Einzelteilen irgendeiner metallenen Apparatur.
    »Wie du siehst, haben wir es inzwischen zu etwas gebracht.«
    »Du führst das Motel?«
    Ich hatte noch nicht zu Ende gesprochen, da stieß ein Mann im Rollstuhl die Hintertür auf und kam in das Zimmer gerollt. Er bekam noch mit, was ich gesagt hatte, und grunzte: »Nun, wenn sich irgendjemand die Scheißstraße hier rauf verirrt.«
    Ich wusste, wer er war, aber seit unserer letzten Begegnung hatte er sich sehr verändert. Damals war David, Gareths Vater, ein drahtiger, robuster Mann gewesen, der einen gern wissen ließ, dass er dreihundertsechzig Tage im Jahr hart schuften müsse. Jetzt sahen seine Beine verkümmert aus, sein Gesicht vertrocknet und runzlig; eine Narbe verunstaltete seinen Hals. Und er saß im Rollstuhl.
    Er rollte zu mir und sah mir durchdringend ins Gesicht.
    »Was so gut wie nie vorkommt. Ich erinnere mich an dich.« Er streckte den Arm aus; wir schüttelten uns die Hände, dann rollte er wieder davon, zu dem Kartentisch, und rief über die Schulter. »Weißt du, was das ist? Das soll angeblich ein beschissener Toaster sein. Aber die Scheißjapsen verwenden so billiges Material, dass sie spätestens nach zwölf Monaten schrottreif sind.«
    Gareth warf ihm einen traurigen Blick zu. »Brauchst du was, Dad?«
    »Zwei Beine und eine Glückssträhne.«
    Gareth versuchte zu lächeln, doch es gelang ihm nicht. Er ging in die Küche, nahm zwei Bier aus dem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher