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Elysion: Roman (German Edition)

Elysion: Roman (German Edition)

Titel: Elysion: Roman (German Edition)
Autoren: Thomas Elbel
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gebracht, im Wald zu leben wie manch andere verzagte Seele. Selbst wenn sie ihre Abneigung gegen die Enge zwischen den Bäumen jenseits der Stadtgrenzen hätte überwinden können, sie hätte niemals die Freiheit der Stadt gegen das geknechtete Leben unter den Malachim getauscht, selbst wenn sie dafür in der Stadt verhungert wäre. Doch einstweilen musste sie das nicht befürchten, denn der Verkauf von Teer garantierte ihr ein anständiges Auskommen.
    Teer, so hieß die zähe Substanz, die übrig blieb, wenn ein Malach in ein starkes elektrisches Feld geriet. Cooper hatte dieses Phänomen durch Zufall entdeckt. Vor zwei Jahren hatten die Malachim entgegen ihrer ursprünglichen Gewohnheiten Streifzüge in die Vororte der Stadt unternommen. Offenbar hatten sie dort Jagd auf Menschen gemacht, die sie ins Elysion verschleppten oder kurzerhand umbrachten, wenn sie sich allzu sehr wehrten. Cooper hatte bei so einer Gelegenheit einmal das Interesse eines Malach auf sich gezogen, als sie mit Brent und Stacy das Gelände eines Wasserkraftwerks oben im Norden der Stadt durchstreift hatte, eines der wenigen, das noch eine Weile in Betrieb gehalten werden konnte. In höchster Not hatte sie sich in ein auf dem Gelände befindliches Umspannwerk gerettet. Mit einem flauen Gefühl im Magen hatte sie sich zwischen den brummenden Transformatoren umhergedrückt und sich gefragt, was wohl schlimmer sei: ein Leben im Elysion oder der Tod durch die sirrende Elektrizität, der sie so gefährlich nahe gewesen war? Dann aber war es der Malach gewesen, den ein Stromschlag getroffen hatte. Doch statt eine verbrannte Leiche zu hinterlassen, war er vor ihren Augen zu einer Pfütze zäher schwärzlicher Flüssigkeit zerfallen.
    Cooper, die die Neugier des Naturwissenschaftlers von ihrem Vater geerbt hatte, hatte ein bisschen von dem Zeug mitgenommen und dann alles Mögliche damit angestellt, bis sie schließlich einfach davon gekostet hatte. Der Effekt war atemberaubend. Sie hatte das Zeug nie wieder angerührt.
    »Ist das Briarcliff Circle?« Brents Frage riss sie aus der Erinnerung.
    »Ich weiß nicht«, grummelte sie. »Sieht irgendwie anders aus.«
    Tatsächlich waren sie nach dem Kampf mit dem Malach einfach drauflosgelaufen, statt wie üblich auf die Geländemarken zu achten. Wahrscheinlich waren sie etwas vom Weg abgekommen.
    »Was machen wir jetzt?« Stacys Stimme. Typisch.
    Keine Ahnung, wollte Cooper ihr ins Gesicht sagen. Wann würde endlich der Tag kommen, da Stacy mal selbst irgendeine Entscheidung von Belang traf? Egal.
    »Schätze, uns bleibt nichts anderes übrig, als hier den Wald zu verlassen.«
    »Bad News, Coop. Ich kenn die Gegend hier nicht wirklich. Nördliches Century City. Die Zombie-Gang treibt sich hier rum.«
    Cooper zuckte mit den Schultern. Was sollten sie tun? Am Waldsaum entlang die richtige Straße zu suchen, hätte ein höheres Risiko bedeutet, doch noch von den Malachim erwischt zu werden. Nein, sie mussten so schnell wie möglich ins Stadtgebiet, auch wenn sie sich darauf an diesem Tag ausnahmsweise alles andere als freute. Schließlich warteten dort McCann und seine Spießgesellen auf die versprochene Ladung Teer, und McCann war nicht der Mann, den man einfach so enttäuschte.
    Cooper wandte sich der Straße zu und winkte den beiden anderen, ihr zu folgen. Auch wenn der Wald an dieser Stelle bereits in die Bebauung hineinwucherte, fühlte es sich gut an, wieder Asphalt unter den Sohlen zu haben. Links von ihnen gewann ein mächtiger Ast nach und nach den schleichenden Krieg mit der Holzwand eines Vorstadthauses. Die ehemals kurz geschorenen Rasenflächen der Vorgärten waren von Buschwerk überwuchert. Ein Autowrack, das nur noch auf nackten Felgen stand, diente augenscheinlich einer Wildkatze und ihren Jungen als Nest. Zwischen den Pflastersteinen spross das Gras kniehoch. Lange blassgrüne Flechten und allerhand anderer Unrat hingen von den erschlafften Oberleitungen, die längst keinen Strom mehr führten. Eine amerikanische Vorstadt als Angkor Wat.
    Nirgendwo anders wurde den Städtern so deutlich vor Augen geführt wie hier, wie sehr ihr Lebensraum schrumpfte. Stück für Stück eroberte sich die Natur die Vororte zurück. Cooper schnürte es die Kehle zu. Sie richtete den Blick auf den Horizont, wo sich im etwas tiefer liegenden Zentrum der Stadt die Bürotürme der ehemaligen Wirtschaftselite wie steinerne Finger nach den Wolken streckten. Der Anblick hob ihre Stimmung ein wenig. Mochten diese
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