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Elric von Melnibone

Elric von Melnibone

Titel: Elric von Melnibone
Autoren: Michael Moorcock
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Generationen hat kein so mächtiger Zauberer mehr auf dem Thron gesessen. Sein Wissen um die Welt jenseits der Küsten Melnibones ist umfassend, obgleich er bisher wenig unmittelbare Erfahrungen damit hat. Sollte er es wünschen, könnte er der Dracheninsel ihre frühere Macht zurückgeben und sein Land und die Jungen Königreiche als unverwundbarer Tyrann beherrschen. Sein Bücherstudium hat ihn aber auch dazu gebracht, den Sinn und Zweck der Macht allgemein in Frage zu stellen, ebenso wie seine eigenen Motive. Er ist im Zweifel, ob seine Macht überhaupt eingesetzt werden sollte, mit welchem Ziel auch immer. Sein Bücherstudium hat ihn zu dieser ›Moral‹ geführt, die er in diesem Augenblick noch kaum versteht. So stellt er für seine Untergebenen ein Rätsel dar und wird von manchen sogar für eine Gefahr gehalten, denkt oder handelt er doch nicht in Übereinstimmung mit ihrer Vorstellung, wie ein echter Melniboneer (und dazu noch ein melniboneischer Herrscher) denken und handeln sollte. Seinem Cousin Yyrkoon wird beispielsweise nachgesagt, er habe mehrfach das Recht des Herrschers angezweifelt, das Volk von Melnibone zu befehligen. »Dieser schwächliche Gelehrte führt uns noch alle in den Untergang«, sagte er eines Abends zu Dyvim Tvar, dem Lord der Drachenhöhlen.
    Dyvim Tvar ist einer der wenigen Freunde des Herrschers und hinterbrachte daher diesem das Gespräch pflichtschuldigst; der Jüngling aber hatte die Bemerkung als ›nebensächlichen Verrat‹ abgetan, wohingegen jeder seiner Vorfahren solche Ansichten mit seiner langsamen und genußvollen öffentlichen Hinrichtung geahndet hätte.
    Die Einstellung des Herrschers wird weiterhin durch die Tatsache kompliziert, daß Yyrkoon, der

    inzwischen ziemlich unverhohlen zum Ausdruck bringt, daß er eigentlich Herrscher sein müßte, der Bruder Cymorils ist, eines Mädchens, das der Albino zu seinen engsten Freunden zählt und das eines Tages an seiner Seite Herrscherin werden wird.
    Unten auf dem Mosaikboden des Thronsaals ist Prinz Yyrkoon in seinen besten Seiden- und Pelzgewändern zu bewundern, in Juwelen und Brokat, mit hundert Frauen tanzend, von denen jede angeblich irgendwann einmal seine Geliebte gewesen ist. Sein dunkles Gesicht - gutaussehend und finster zugleich - ist von langem, schwarzem Haar gerahmt, das in Locken gelegt ölig schimmert, und sein Ausdruck ist wie immer leicht ironisch, während seine Körperhaltung Arroganz verrät. Der schwere Brokatmantel schwingt hierhin und dorthin und stößt schwungvoll gegen andere Tänzer. Er trägt ihn geradezu wie eine Rüstung oder vielleicht auch wie eine Waffe. Viele Höflinge empfinden nicht wenig Respekt vor Prinz Yyrkoon.
    Wenige mißbilligen seine Arroganz, doch jene halten den Mund, denn Yyrkoon gilt seinerseits als fähiger Zauberer. Sein Verhalten entspricht im übrigen dem, was der Hof von einem melniboneischen Edelmann erwartet, ein Auftreten, das man auch gern beim Herrscher sähe.
    Dem Herrscher ist dies bekannt. Er wünschte, er wüßte seinen Hof zu erfreuen, der den König mit seinem Tanz und seiner Klugheit zu ehren bestrebt ist, doch er kann sich einfach nicht überwinden, an etwas teilzunehmen, das er insgeheim für eine ermüdende und unangenehme Abfolge ritueller Posen hält. In dieser Einstellung ist er womöglich noch arroganter als Yyrkoon, der zumindest als Grobian konventionellen Zuschnitts bezeichnet werden muß.
    Die Musik von der Galerie tönt nun lauter und komplexer: Dort werden die Sklaven, die speziell trainiert und durch chirurgischen Eingriff auf jeweils eine vollkommene Note getrimmt sind, zu größerer Anstrengung angespornt. Auch auf den jungen Herrscher bleibt die unheimliche Harmonie dieses Gesangs nicht ohne Wirkung, eine Musik, die kaum an Töne erinnert, wie sie von menschlichen Stimmen bisher erzeugt wurden. Wie kann ihr Schmerz solch unbeschreibliche Schönheit hervorbringen? Ist das das Geheimnis großer Kunst, unter Menschen wie unter Melniboneern?
    Herrscher Elric schließt die Augen.
    Unten im Saal gibt es eine Bewegung. Die Türen sind geöffnet worden, und die tanzenden Höflinge erstarren, weichen zurück und verbeugen sich tief vor den eintretenden Soldaten. Die Soldaten sind hellblau gekleidet, die prunkvollen Schmuckhelme zu fantastischen Formen gestaltet, die langen Lanzen mit den breiten Klingen voller juwelenbesetzter Bänder. Sie umringen eine junge Frau, deren blaues Kleid zu den Uniformen paßt und um deren nackte Arme fünf oder sechs
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