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Ellernklipp

Ellernklipp

Titel: Ellernklipp
Autoren: Theodor Fontane
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hin und es sehen.«
    »Ja, ich wollt es, als ich den roten Himmel sah.«
    »Und hast auch keine Sehnsucht? Ich meine nach deiner Mutter. Oder hattest du sie nicht lieb?«
    »O ja, ich hatte sie lieb. Aber ich bin doch nicht traurig.«
    »Und warum nicht?«
    »Ich weiß es nicht. Aber mir ist, als wäre sie nicht tot. Ich seh sie noch und höre sie noch. Und dann hab ich ja euch. Es ist besser hier und nicht so still und so kalt. Und du bist so gut, und Martin...«
    »Und der Vater...«
    »Ja, der auch.«
    Ohne weitere Zwischenfälle verlief der Winter, und als Ostern, das in diesem Jahre früh fiel, um eine Woche vorüber war, packte Martin nicht bloß
seine
Mappe, sondern auch Hildens, und mit erwartungsvoller und beinahe feierlicher Miene gingen beide neben dem Bach hin auf das mitten im Dorf gelegene Schulhaus zu, das schwarze Balken und weißgetünchte Lehmfelder und oben auf dem Dach eine kleine Glocke hatte. Die läutete eben, als sie eintraten.
    Hilde kam nach unten, denn sie wußte nichts, und selbst die Kleinen lachten mitunter. Auch schien es nicht, als ob sie die lange Versäumnis im Fluge nachholen werde, denn sie war oft träge und abgespannt und machte Krickelkrakel im Rechnen und Schreiben, und nur im Lesen und Auswendiglernen war sie gut. Und siehe da, das half ihr, und als kurz vor der Erntezeit eine Schulinspektion angemeldet wurde, mußte sie die Fabel von der Grille und der Ameise vorlesen, was ihr neben der Zufriedenheit des Lehrers auch eine besondere Belobigung des alten Sörgel eintrug.
    Und was diesen anging, so sollte sich's überhaupt jetzt zeigen, daß er des Kindes und seiner Zusage nicht vergessen habe, denn er schrieb denselben Tag noch ein Zettelchen, worin er dem Heidereiter vorschlug, ihm jeden Dienstag und Freitag die Hilde herüberzuschicken, und natürlich auch den Martin, damit er ihnen etwas aus der Bibel erzählen könne. Das geschah denn auch, und die zwei Stunden beim alten Sörgel waren bald das, worauf sich die Kinder am meisten freuten. Es war alles nach wie vor so still und behaglich drüben, und der kleine Zeisig, der in seinem Bauer zirpte, schien nur dazu da, zu zeigen,
wie
still es war. Dazu lagen über die ganze Stube hin lange, von Tucheggen geflochtene Streifen, sogenannte Läufer, alle weich genug, einen jeden Schritt zu dämpfen, auch den schwersten, selbst wenn der alte Sörgel nicht kniehohe Sammetstiefel und bei rechter Kälte sogar noch ein Paar Filzschuhe darüber getragen hätte. Das erste Mal, als er so kam, waren Martin und Hilde dicht am Lachen gewesen, aber der alte Herr, der wohl wußte, wie Kinder sind, hatte nur mitgelächelt und im selben Augenblicke gefragt: »Nun, Hilde, sage mir, wie hießen die zwölf Söhne Jakobs...? Richtig... Und nun sage mir, wie hieß sein Schwiegervater...? Richtig... Und nun sage mir, wie hieß seine Stiefgroßmutter...?« Auf diese letztere Frage war er nun, wie sich denken läßt, einer Antwort nicht gewärtig gewesen; als aber Hilde mit aller Promptheit und Sicherheit ihm »Hagar« geantwortet und noch hinzugesetzt hatte: »
Die
meint Ihr, Pastor Sörgel; es ist aber eigentlich nicht richtig« – da war er schmunzelnd an einen nußbaumenen Eckschrank herangetreten und hatte von dem obersten Brett eine Meißener Suppenterrine herabgenommen, darin er seine Biskuits aufzubewahren liebte. »Da, Hilde, das hast du dir ehrlich verdient... Und
das
hier, Martin, ist für dich, damit dir das Herz nicht blutet.«
     
    So ging es geraume Zeit, es war schon der zweite Winter, und da Sörgel eine Vorliebe für das Alte Testament hatte – eine Vorliebe, die nur noch von seiner Abneigung gegen die Offenbarung Johannis übertroffen wurde –, so konnte es keinen verwundern, die Kinder fest in der alten biblischen Geschichte zu sehen, und zwar um so fester, als sie nicht bloß zuhören, sondern auch alles frisch Gehörte sofort wiedererzählen mußten.
    In ihrem Wissen waren sie gleich, aber in Auffassung und Urteil zeigte sich Hilde mehr und mehr überlegen, so sehr, daß der alte Pastor immer wieder in die vielleicht verwerfliche Neigung verfiel, sie, wie damals mit der Hagarfrage, durch allerlei Doktorfragen in Verlegenheit zu bringen.
    »Sage, Hilde«, so hieß es eines Tages, »du kennst so viele Frauen von Eva bis Esther. Nun sage mir, welche gefällt dir am besten und welche am zweit-und drittbesten? Und welche gefällt dir am schlechtesten? Gefällt dir Mirjam? Oder gefällt dir Jephthahs Tochter? Oder gefällt dir Bathseba?
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