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Elke im Seewind

Elke im Seewind

Titel: Elke im Seewind
Autoren: Emma Gündel
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Lotti in die Tasche ihrer weißen Wolljacke gesteckt hatte. Ihre rote Handtasche mit der Geldbörse und mit der eigenen Uhr hatte sie vorschriftsmäßig an Fräulein Brunkhorst abgegeben Frau Bramfeld dachte: Wie leichtsinnig nur von dem Kind, dem diese Uhr gehört! Wenige Minuten später übergab sie Fräulein Brunkhorst die Uhr, und die wußte sofort, welche Bewandtnis es mit diesem Fund hatte. Das hübsche viereckige Ding, das sie aus den Beschreibungen der Kinder so gut kannte, war Elkes Uhr.
    Die Gedanken der erfahrenen Lehrerin traten eine traurige Wanderung an. Es war also wirklich alles so, wie sie es befürchtet hatte. Sie hielt jetzt den Beweis von Lottis Schuld in der Hand, und das Kind hatte keine Möglichkeit, sich in Lügen und Ausflüchten hineinzuretten.
    Tatsächlich gab Lotti sofort jede Hoffnung auf, noch irgend etwas verschleiern zu können, als sie, erfuhr, daß die versteckt gehaltene Uhr in Fräulein Brunkhorsts Gewahrsam war.
    Fräulein Brunkhorst und Lotti haben vor einer Weile zusammen den Strand verlassen und sind ins Dünengelände gegangen, wo sie ganz allein sind. Sie sitzen jetzt nebeneinander auf dem von blaugrünem Strandhafer überwachsenen kleinen Abbruch einer Düne, der wie eine Bank ist, und Lotti weint bitterlich.
    Unbewegten Gesichtes blickt die Lehrerin in die sich vor ihr ausbreitende Weite aus Sand und Einsamkeit.

    Lotti weint. Sie hat Fräulein Brunkhorst, ohne viel zu beschönigen, genau erzählt, wie alles gewesen ist. Sie hat Elke gehaßt, sie hat es nicht ertragen können, daß Elke bei allem immer die erste war und daß alle sie so gern hatten. Elke hatte sehen sollen, daß sie auch nicht unfehlbar war. Was brauchte sie ihre Uhr so hinzulegen, daß jemand sie einfach wegnehmen konnteI Lotti vergaß bei dieser Darstellung, daß sie sehr heimlich und sehr vorsichtig, immer auf der Hut vor den Blicken von Michael, auf dem Bauch an den Kleiderhaufen in der Robinsonburg herangekrochen war. Gar so leichtsinnig hatte Elke ihre Uhr also doch nicht liegen lassen.
    Fräulein Brunkhorst stellt viele Fragen und weiß schließlich alles. Sie weiß von Lottis Absicht, ihrer Tante die Uhr zu schicken, sie weiß von dem Versteck im Kleiderschrank, sie weiß von der furchtbaren Angst während des Ausfluges nach Hooge, sie weiß von Lottis Überlegungen, die Uhr auf der Straße zu „verlieren“ oder sie bei der Polizei abzugeben.
    Lotti weint. Sie bereut ihre Tat. Aber warum bereut sie? Deshalb, weil sie Elke betrübt und geschädigt hat? Deshalb, weil sie eine brave, alte Frau, die Beeren sammelte, in den Verdacht des Diebstahls brachte? Deshalb, weil sie sich jetzt vor sich selber schämen muß, daß sie sich so weit vergessen hat? Nein, nicht aus allen diesen Gründen. Sondern nur, weil ihre Tat herausgekommen ist — weil sie als Lügnerin und Diebin dasteht, das ist es, was sie innerlich zur Verzweiflung bringt, und Fräulein Brunkhorst setzt ihr das ohne Milde auseinander.
    Die Lehrerin ist aufrichtig betrübt. Lotti ist ihr vier Jahre lang eine liebe Schülerin gewesen, und sie kennt auch Lottis Eltern. Es sind fleißige, durch und durch solide Leute, die ihr einziges Kind stets zum Guten angehalten haben. Mit der Tante, die an Lotti schreibt und ihr Geld schickt, haben die Eltern keine Verbindung.
    Fräulein Brunkhorst versucht, Lotti ganz klarzumachen, wann sie den ersten Schritt auf ihrem abschüssigen Weg getan hat. Das war nicht in dem Augenblick, wo sie die Uhr wegnahm, sondern es war schon viel früher. Es war da, wie sie ihrem Neid und ihrer Eifersucht auf Elke freie Bahn ließ und nicht gegen die Versuchung ankämpfte, mißgünstig und ungerecht gegen die tüchtige und beliebte Kameradin zu werden. Damals schon hätte sie vernünftig sein, damals schon sich bezwingen müssen, dann wäre es gar nicht gekommen zu dieser ganzen Kette von Unrecht, Unwahrheit, Angst, Aufregung und schließlich Schande.
    Lotti hat jetzt zu weinen aufgehört. Ihr rundes, sonnengebräuntes Gesicht sieht mitgenommen, fast zusammengefallen aus. Ihre Augenlider sind stark gerötet, ihre Lippen hält sie wie im Trotz fest aufeinander gepreßt. Aber sie ist gar nicht mehr trotzig, sie ist nur unglücklich — ganz verlassen und allein fühlt sie sich in ihrem Herzen.
    Lotti sitzt und starrt vor sich hin. Sie beobachtet, wie ein kleiner grüner Käfer an einer verdorrten Grasrispe herumklettert — wie an einer Stelle loser Sand unaufhörlich in eine kleine Mulde rieselt — wie ein Büschel Gras
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