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Elke, der Schlingel

Elke, der Schlingel

Titel: Elke, der Schlingel
Autoren: Emma Gündel
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bloß nicht allzu
wütend wird und eine große Geschichte daraus macht. Dann kriegt Elke sicher die
Hauptschuld, weil sie das Bild gemacht hat, aber eigentlich ist die ganze
Klasse schuld, denn sie will sich rächen, weil Stummelschwänzchen Kiki Lütjens
neulich einen Ordnungstadel angeschrieben hat, der ungerecht gewesen ist. Kikis
kleiner Bruder hat Schmutzfinger in das Diktatheft der Schwester gemacht. Was
konnte Kiki dafür! Sie hätte das Heft so aufbewahren müssen, daß der kleine
Bruder nicht dazu konnte, sagte Fräulein Samtleben, aber du lieber Himmel!
Hatte die eine Ahnung! Etwas so wegstecken, daß kleine Brüder es nicht finden?
Das gibt es doch gar nicht! Auch Fränzi findet es ganz in Ordnung, daß das
Stummelschwänzchen einen Denkzettel bekommt.
    Inzwischen ist es in dem großen
Eßzimmer der Familie Tadsen lebendig geworden, und da wir Elkes Eltern und
Geschwister so schön beieinander haben, wollen wir rasch mal einen Blick zu
ihnen hinein tun. Die große Lampe mit dem gelbbraunen Seidenschirm brennt über
dem großen runden Familientisch, und Jens, der Primaner, hat sich als letzter
gerade eben zu Tisch gesetzt. Er gähnt, er hat noch nicht ausgeschlafen, weil
er bis lange nach Mitternacht gelesen hat. Er ist lang und mager, wie alle
Tadsens, mit Ausnahme der Mutter und Giselas, die beide ziemlich klein sind, er
hat ein intelligentes, ansprechendes Gesicht. Freilich, so gut wie sein
neunzehnjähriger Bruder Ulf sieht er nicht aus. Erstens hat Ulf wunderbar
blitzende Zähne, die jedem auffallen, sodann hat er eine kräftigere,
männlichere Nase und etwas heller blonde Haare als Jens. Aber das Wichtigere
ist noch sein Gesichtsausdruck. Es liegt etwas Offenes, Frisches, Herzliches in
Ulfs Zügen, seine Augen sind klar, aber doch warm und gut, und seinem Mund
sieht man gleich auf den ersten Blick an, daß er gern Freundliches sagt. Jens
macht auch einen netten Eindruck, durchaus, aber er gibt sich gern ein bißchen
großartig und verzieht den Mund leicht zum Spott. Man hat bei ihm nicht so das
unbedingte Vertrauen wie bei Ulf, daß man mit jeder kleinen Sorge und Betrübnis
zu ihm kommen kann, er wird schon Rat wissen, und daß Ulf Elkes Lieblingsbruder
ist, kann man durchaus verstehen.
    Die sich jetzt als erste vom
Frühstückstisch erhebt, kaum daß sie ein paar Schlucke Kaffee getrunken und
sich zwei Brötchen zum Mitnehmen geschmiert hat, ist Anke, die
Medizinstudentin. Sie muß eilen, daß sie in die Vorlesung kommt. Auf
Wiedersehen! Auf Wiedersehen! — Anke ist das älteste der Tadsenschen Kinder und
hat ein schmales, hübsches, energisches Gesicht. Gisela nennt sie oft herrisch,
und vielleicht ist daran etwas Wahres, denn Anke kommandiert mit den
Geschwistern für ihr Leben gern herum. Durchaus nicht nur Elke, die
Zehnjährige, muß springen, wenn sie etwas sagt, sondern sie erwartet auch von
den drei anderen, daß ihr als der Ältesten der schuldige Respekt und die
schuldige Unterordnung entgegengebracht werden. Das Wort Ankes gilt manchmal
sogar mehr als das der Mutter. Gisela und Elke haben beide ein bißchen Angst
vor Anke, so gut sie es auch immer meint. Anke hat so viel an ihnen auszusetzen
und sagt immer alles so schonungslos frei heraus, selbst wenn Freundinnen dabei
sind, und das mag man doch wirklich nicht haben!
    Gisela, die ein Gymnasium besucht, wo
sie Latein und Griechisch lernt, hat als einzige das dunkelbraune Haar der
Mutter geerbt, außerdem muß sie wegen ihrer starken Kurzsichtigkeit eine Brille
tragen. Sie ist das begabteste der fünf Tadsenkinder und hat leicht etwas
Verträumtes, Abwesendes in ihrem Gesicht. Sie will wie Anke einmal studieren,
wahrscheinlich Musik, aber genau weiß sie es noch nicht, denn sie ist
anspruchsvoll. Nur wenn sie so begabt ist, daß sie einmal eine große Künstlerin
werden kann, will sie Musik als Beruf erwählen, sonst will sie Lehrerin an
einer Höheren Schule werden. Sie ist in der bevorzugten Lage, frei wählen zu
können. Die Eltern üben keinen Zwang auf die Berufswahl ihrer Kinder aus und
sind wirtschaftlich so gestellt, daß aus geldlichen Gründen kein vernünftiger
Wunsch unerfüllt zu bleiben braucht. Sie verlangen nur, daß jedes Kind etwas
Tüchtiges lernt; auch Elke soll sich später einmal in einem Beruf bewähren.
    Der Vater fragt jetzt nach Elke. „Wird
da schon wieder ein Fest geplant, zu dessen Vorbereitung die Kinder vorzeitig
aus den Federn geholt werden?“ Herr Tadsen ist ein großer, hagerer Mann mit
bartlosem
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