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Elfenliebe

Elfenliebe

Titel: Elfenliebe
Autoren: Aprilynne Pike
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ausgedehntes Wurzelgeflecht stützte große Teile des Mauerwerks. Der Baum war tatsächlich zum Bestandteil des Schlosses geworden. Oder umgekehrt, das Schloss war ein Teil des Rotholzes. Das gesamte Gebäude schien sich zufrieden in den Armen der weit verzweigten Wurzeln zu räkeln.
    Nach einer weiteren Kurve erblickte Laurel etwas, das sie zunächst für ein schmiedeeisernes Tor hielt, das sich jedoch bei näherem Hinsehen als eine lebende Mauer
entpuppte. Zweige bogen und wanden sich in komplizierten Schnörkeln umeinander wie bei einem unendlich komplexen Bonsai. Vor einem Tor standen zwei Wachtposten – eine Frau und ein Mann in voller Montur in einem kräftigen Blauton und mit glänzenden, gefiederten Helmen auf dem Kopf. Sie verbeugten sich tief vor Jamison und machten Platz.
    »Komm«, forderte Jamison Laurel auf, hindurchzugehen, als sie zögerte. »Sie warten auf uns.«
    Auf dem Gelände der Akademie herrschte lebhaftes Treiben. Dutzende Elfen arbeiteten im Hof. Einige von ihnen waren in zarte, fließende Gewänder oder leichte Seidenhosen gekleidet und hielten Bücher im Arm. Andere trugen Kleider aus einfacher Baumwolle und waren mit Graben, Schneiden und Stutzen beschäftigt. Wieder andere pflückten Blumen und suchten die vielen üppigen Büsche nach besonders schönen Blüten ab. Als Jamison und Laurel an ihnen vorübergingen, hielten die meisten Elfen in ihrer Arbeit inne und verbeugten sich oder neigten zumindest respektvoll den Kopf.
    »Verbeugen sie sich … vor mir?«, wagte Laurel dumm zu fragen.
    »Kann schon sein«, erwiderte Jamison. »Aber die meisten verbeugen sich wahrscheinlich vor mir.«
    Sein lässiger Ton traf Laurel unerwartet. Doch offenbar war es für ihn ganz normal, dass man sich vor ihm verbeugte. Und er reagierte nicht einmal darauf. »Hätte ich mich auch vor Euch verbeugen sollen, als Ihr zum Tor kamt?«, fragte Laurel unsicher.

    »Oh nein«, antwortete Jamison sofort. »Du bist eine Herbstelfe. Du verbeugst dich ausschließlich vor der Königin. Ein leichtes respektvolles Kopfnicken reicht völlig aus.«
    Laurel ging schweigend und leicht irritiert weiter. Dabei beobachtete sie jene Elfen, die Jamison nur mit dem Kopf zunickten. Sie erwiderten ihren Blick, und Laurel wusste nicht recht, wie sie ihren Gesichtsausdruck verstehen sollte. Einige schienen neugierig zu sein, andere eher wütend. Viele Mienen waren verschlossen. Schüchtern senkte sie den Kopf und beeilte sich, Jamison wieder einzuholen.
    Als sie auf die gewaltigen Eingangstüren zugingen, wurden diese von einer Gruppe Diener aufgezogen, die Jamison und Laurel in eine geräumige Empfangshalle geleiteten. Durch eine riesige Glaskuppel fiel das Sonnenlicht und nährte Hunderte von Topfpflanzen, die die Halle schmückten. Hier ging es weniger hektisch zu als draußen auf dem Gelände. Da und dort saßen einige Elfen auf Sofas, vor sich niedrige Tische mit Büchern darauf.
    Eine ältere Elfe – nicht so alt wie Jamison, dachte Laurel, obwohl man das bei Elfen nie so genau schätzen konnte – kam auf sie zu und verneigte sich. »Jamison, wie schön, Euch zu sehen!« Dann lächelte sie Laurel an. »Du bist Laurel, nehme ich an – meine Güte, wie du dich verändert hast!«
    Laurel erschrak kurz, doch dann erinnerte sie sich, dass sie sieben Jahre in Avalon gelebt hatte, bevor sie zu ihren Eltern gekommen war. Dass sie sich an niemanden
erinnern konnte, bedeutete ja nicht, dass man sie hier vergessen hatte. Sie fremdelte plötzlich bei dem Gedanken, wie viele der Elfen, an denen sie vorbeigegangen war, sich wohl an eine Vergangenheit erinnerten, die ihr verschlossen blieb.
    »Ich heiße Aurora«, sagte die Elfe. »Ich unterrichte die Eingeweihten – die in der Klasse unter und über dir.« Sie lachte wie über einen privaten Witz. »Komm, ich zeige dir dein Zimmer. Wir haben es renoviert und nur ein paar alte Dinge gegen neue eingetauscht – ansonsten blieb es bis heute unangetastet.«
    »Ich habe hier ein Zimmer?« Laurel konnte sich die Frage nicht verkneifen.
    »Natürlich!«, antwortete Aurora über ihre Schulter hinweg. »Dies ist schließlich dein Zuhause.«
    Zuhause? Laurel blickte sich in der schmucklosen Eingangshalle um, betrachtete das aufwendig gearbeitete Geländer an der sich nach oben windenden Treppe, die glitzernden Fenster und Dachluken. Das war ihr Zuhause gewesen? Es sah so unbekannt aus, fühlte sich so fremd an. Sie blickte hinter sich und sah, wie Jamison ihr folgte – natürlich ohne zu
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