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Elfenblut

Elfenblut

Titel: Elfenblut
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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metallisch wie irgendwie … lebendig wirkende Scharren, das sie schon einmal vernommen und als so sonderbar unpassend für diesen Moment empfunden hatte, und diesmal war es zu deutlich, um es als bloße Einbildung abzutun. Und außerdem kam es ganz eindeutig von oben.
    Pia sah so erschrocken auf, dass auch Jesus neben ihr zusammenfuhr und sie spüren konnte, wie er sich anspannte. Ihr Blick suchte den Himmel ab, der selbst jetzt, lange nach Dunkelwerden, noch nach dem erstickenden Smog des Tages aussah, und während sie es tat, lief ihre Fantasie zwar nicht unbedingt Amok, gaukelte ihr aber dennoch die verrücktesten Dinge vor, und nicht wenige davon waren flach und rund und hatten ein winziges rot glühendes Auge in der Mitte.
    Es konnte nicht die Drohne sein, versuchte sie sich selbst zu beruhigen. Die Dinger flogen nicht nachts. Seit sie in den ersten Nächten gleich reihenweise gegen Wände, Dächer, Stromleitungen und Antennenmasten geprallt und ebenfalls reihenweise abgestürzt waren und sich herausgestellt hatte, dass die preiswerten chinesischen Infrarot-Augen noch weniger funktionierten als der Rest, kehrten die fliegenden Spitzel pünktlich mit Einbruch der Dämmerung in ihre Garagen zurück. Außerdem durfte es nicht die Drohne sein, ganz einfach deshalb, weil Jesus und sie dann gründlich im Arsch wären.
    Sie war es auch nicht, aber es war Jesus, der die Ursache des Geräusches entdeckte und sie mit einer entsprechenden Geste darauf aufmerksam machte.
    Der Rabe saß nahezu direkt über ihnen auf einem der stählernen Baggerzähne, und obwohl er sich nur als schwarze Silhouette gegen den Nachthimmel abhob und Pia seine Augen nicht erkennen konnte, spürte sie ganz deutlich, dass er Jesus und sie anstarrte.
    Nein. Sie verbesserte sich in Gedanken.
    Nicht Jesus und sie.
    Sie.
    Sie versuchte zwar, sich selbst davon zu überzeugen, dass dieser Gedanke nichts als blühender Unsinn war, aber er blieb hartnäckig, und er löste ein eisiges Frösteln der Furcht aus, das auf Millionen dürren Insektenbeinen über ihren Rücken lief. Der Rabe war riesig, mindestens einen Meter groß, wenn nicht mehr, und er saß nicht einfach nur so da, sondern beobachtete sie aus wachen, unsichtbaren Augen.
    Jesus berührte sie erneut an der Schulter und deutete nach links. Dort saß der zweite Rabe, so schwarz und stumm wie der erste und sogar noch größer. Und auch er starrte sie an.
    »Was sind das für Viecher?«, murmelte Jesus, und Pia hörte sich zu ihrer eigenen Überraschung und ohne das mindeste Zögern antworten:
    »Eiranns Raben.«
    »Wie?«, fragte Jesus.
    »Ähm …irgendwelche Raben eben«, antwortete Pia. Eiranns Raben? Wie kam sie auf dieses Wort? Sie war sicher, es noch nie zuvor gehört zu haben, aber es klang ungemein vertraut und einfach … passend. Eine Spur lauter und mit dem (verunglückten) Versuch eines Lachens fügte sie hinzu: »Wahrscheinlich haben sich die beiden nur verflogen und wissen jetzt nicht mehr, wie sie nach Hause kommen. Pass bloß auf, dass sie dich nicht für eine fette Ratte halten.«
    Jesus schenkte ihr einen schrägen Blick und setzte zu einer Antwort an, doch in diesem Moment klimperte es vorne am Tor, und für eine halbe Sekunde blitzte der Strahl einer Taschenlampe auf, um gleich wieder zu erlöschen. Jesus erstarrte zur Salzsäule, und auch Pia drängte sich enger an ihn, während sie versuchte, noch weiter in den Schatten zurückzuweichen und gänzlich unsichtbar zu werden. Sie vergaß die Raben. Oder versuchte es wenigstens.
    Die Taschenlampe blitzte noch einmal – länger – auf, und das Klimpern wiederholte sich und wurde dann zum metallischen Rasseln einer Kette. Das Tor schwang auf, und zwei, dann drei schattenhafte Gestalten huschten hindurch und kamen lautlos näher.
    Drei? Nicht dass es nötig gewesen wäre, aber Pias ungutes Gefühl bekam noch mehr neue Nahrung. Bisher waren sie immer zu zweit gewesen, der Kurier meistens allein hereingekommen, sein Begleiter als Wache vorn am Tor zurückgeblieben. Wieso zum Teufel waren sie heute zu dritt?
    Pia tröstete sich damit, dass sie schließlich niemand dazu zwang, mehr zu tun, als in ihrem Versteck zu sitzen und zuzusehen. Einer der Schatten blieb auch tatsächlich am Tor zurück, das er hinter sich schloss, drehte sich um und behielt die Straße im Auge, während die beiden anderen näher kamen. Die Taschenlampe flammte abermals auf und blieb diesmal an, und der zitternde Lichtstrahl huschte über den Boden, kletterte am
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