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Elegie - Herr der Dunkelheit

Elegie - Herr der Dunkelheit

Titel: Elegie - Herr der Dunkelheit
Autoren: J Carey
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gekommen. Ich weiß es, weil ich den Gesprächen der Adepten zuhörte. In Bryonia wird erzählt, sie habe ein gutes Geschäft damit gemacht, und im Camellia-Haus, dass ihre Vollkommenheit ihn zwei Wochen lang erblinden ließ, nachdem sie sich entschleiert hatte, und
er sie deshalb aus verständnisloser Angst verriet. Dahlia behauptet, sie habe sich wie eine Königin hingegeben, während Heliotrop sagt, sie habe sich in der Liebe geaalt wie in der Sonne, die auf Misthaufen und Königsgemächer gleichermaßen scheint. Das Jasmin-Haus, für das ich eigentlich bestimmt war, behauptet, sie habe es aus reiner Lust getan und Orchis meint für eine Lerche. Eglanteria sagt, sie habe durch die Lieblichkeit ihres Gesangs verzaubert. Was Valeriana behauptet, weiß ich nicht, denn von den beiden Häusern, die den pikanteren Vorlieben entgegenkommen, erfuhren wir weniger; aber ich hörte einmal, dass Mandragora erzählt, Naamah habe ihre Freier wie Opfer ausgewählt und sie ausgepeitscht, bis sie in gewaltberauschter Ekstase vollkommen befriedigt und halb tot gewesen seien.
    Von diesen Dingen erfuhr ich, weil die Adepten, wenn sie glaubten, ich würde nicht zuhören, immer wieder zu erraten versuchten, für welches Haus ich bestimmt gewesen wäre, hätte ich nicht diesen Makel. Auch wenn ich wie wohl jedes Kind meine wechselhaften Launen hatte, war ich weder bescheiden, fröhlich oder würdevoll, noch klug, leidenschaftlich oder sonst etwas genug, um mich für ein ganz bestimmtes Haus auszuzeichnen, und ich hatte anscheinend kein besonderes Talent für Poesie oder Gesang. So fragten sie sich damals vergebens; doch nach jenem Tag, denke ich, konnte kein Zweifel mehr bestehen.
    Der Anemonenstrauß, den Bruder Louvel mir geschenkt hatte, war unordentlich geworden, und ich zog die Nadel heraus, um ihn wieder zu richten. Es war eine lange, spitze, außerordentlich glänzende Nadel mit einem Perlmutkopf. Ich saß am Brunnen und bewunderte sie, ohne einen weiteren Gedanken an die Anemonen zu verschwenden. Ich dachte an Bruder Louvel, an seine Schönheit und daran, wie ich mich ihm hingeben würde, sobald ich eine richtige Frau geworden war. Ich dachte auch an den Heiligen Elua, seine lange Wanderschaft und seine erstaunliche Antwort an den obersten Herold des Einen Gottes. Das Blut, das er vergossen hatte, könnte – wer weiß? – in meinen eigenen Adern fließen, so dachte ich und beschloss, es zu überprüfen. Ich drehte die Handfläche der linken Hand nach oben, nahm die Nadel fest in die rechte und stieß sie in mein Fleisch.

    Die Spitze drang mit überraschender Leichtigkeit ein. Für einen kurzen Augenblick schien es mir kaum etwas auszumachen; doch dann blühte der Schmerz auf wie eine Anemone, ausgehend von der Spitze, die ich mir in die Handfläche gebohrt hatte. Meine Hand sang voller Qual, und meine Nerven wurden in einen Zustand höchster Erregung versetzt. Es war ein ungewohntes Gefühl, zugleich schlecht und gut, schrecklich gut, wie wenn ich an Naamah dachte, die sich zu Fremden legte, nur besser – stärker. Ich zog die Nadel wieder heraus und beobachtete fasziniert, wie mein eigenes rotes Blut den kleinen Einstich füllte, eine scharlachrote Perle in meiner Handfläche, die dem Fleck in meinem Auge glich.
    In diesem Moment wusste ich nicht, dass mich ein Adept voller Erstaunen dabei beobachtet und sofort einen Dienstboten nach der Doyenne hatte schicken lassen. Gefesselt von dem Schmerz und dem dünnen Tropfen Bluts, bemerkte ich nichts, bis ihr Schatten auf mich fiel.
    »So«, sagte sie, während sie mit ihrer alten Klaue mein linkes Handgelenk umklammerte und meine Hand nach oben riss, um die Innenseite zu betrachten. Die Nadel fiel mir aus den Fingern, und mein Herz klopfte in panischer Erregung. Ihr stählerner Blick durchbohrte den meinen und erkannte dort die schmerzerfüllte Lust. »Für dich kommt dann wohl das Valeriana-Haus infrage?« In ihrer Stimme lag grimmige Befriedigung; dieses Rätsel war gelöst. »Schickt einen Boten zum Doyen, lasst ihm ausrichten, wir hätten hier jemanden, dem es von Nutzen sein könnte, im Ertragen von Schmerzen unterwiesen zu werden.« Ihre stahlgrauen Augen wanderten noch einmal über mein Gesicht, ruhten auf meinem linken Auge und hielten inne. »Nein, wartet.« Wieder durchfuhr sie ein Zucken, eine Unsicherheit, etwas, das in ihrer Erinnerung wieder aufblitzte. Sie ließ mein Handgelenk los und wandte sich ab. »Lasst nach Anafiel Delaunay schicken. Sagt ihm, wir hätten
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