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Eistochter

Eistochter

Titel: Eistochter
Autoren: Dawn Rae Miller
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Pünktchen darin sind exakt spiegelbildlich, wenn wir einander ansehen. Bethina, unsere Hausmutter, behauptet, das sei ein Zeichen, dass wir füreinander bestimmt sind.
    Aber um das zu wissen, brauche ich keine Pünktchen in den Augen. Der Staat will, dass wir zusammen sind. Und der Staat macht keine Fehler.
    »Das hoffe ich.« Ich stelle mich auf die Zehenspitzen und streiche Beck die Haare aus den Augen. Mein schwaches Lächeln kann seinem Optimismus nicht das Wasser reichen. Beck lacht viel und ist immer ausgeglichen. Manchmal komme ich mir wie ein verlorener kleiner Mond vor, der in einer Umlaufbahn um ihn kreist. Aber unsere gegensätzlichen Naturen ergänzen sich gut. Er sorgt dafür, dass ich mich nicht sozial isoliere, sondern mein unermüdliches Lernen auch einmal unterbreche, und ich bringe ihn im Gegenzug dazu, sich ernsthaft auf die Schule zu konzentrieren und seine Hausaufgaben zu erledigen.
    Da ich mir um die Zeit Sorgen mache, werfe ich erneut einen Blick auf mein blaues Armband, bevor ich es neben meine Haarbürste werfe. Wir haben dreißig Minuten, um uns anzuziehen, zu frühstücken und loszukommen.
    Ich ziehe eine von Becks Schubladen auf und durchwühle das Kleidergewirr, bis ich ein Hemd und eine Hose für ihn finde.
    Während er duscht, mustere ich die Jeans, die meine beste Freundin Kyra mir gekauft hat, und entscheide mich sofort dagegen. Ich will nicht so unbequem und seltsam gekleidet zu meiner Prüfung gehen.
    Während ich mich hinter einem Wandschirm umziehe – mein schwacher Versuch, Privatsphäre herzustellen –, kommt Beck aus der Dusche. Der Geruch nach Seife, Becks Seife, kitzelt mich in der Nase, und ich muss grinsen. Zum Glück bin ich verborgen, und er kann meine Reaktion nicht sehen. Ich muss ihn ja nicht auch noch ermuntern. Alles ist ohnehin schon schwierig genug.
    »Wie passt du überhaupt da hinein?«, fragt er.
    Ich werfe einen Blick am Wandschirm vorbei. Er steht angezogen neben meinem Einbauschrank, aber seine Haare sind feucht und ungekämmt. Er hält meine Jeans von sich, als wäre sie irgendein fremdartiger Gegenstand, obwohl ich weiß, dass er schon einmal eine gesehen hat – so altmodisch ist sie nun auch wieder nicht.
    »Sie ist so klein. Sieh doch!« Er schiebt die Füße in die Hosenbeine, und sie bleiben an seinen Knöcheln hängen. Er hüpft zu meinem Bett, stolpert dabei beinahe und versucht, die Jeans wieder auszuziehen.
    Ich knöpfe mir die Bluse zu und gehe um den Wandschirm herum zum Spiegel. »Sie ist eben authentisch, Beck. Es ist keine schlaue Technik darin verarbeitet, um sie auf die richtige Größe zu dehnen, und selbst wenn sie darüber verfügen würde, wäre sie immer noch nicht dazu gedacht, von einem eins neunzig großen Riesen getragen zu werden.«
    Während er sich mühsam wieder von der Jeans zu befreien versucht, streiche ich mir das kastanienbraune Haar zu einem lockeren Pferdeschwanz zurecht. Ordentlich und gepflegt, ganz die künftige Staatsfrau. Im Spiegel sehe ich, dass Beck aufgehört hat, gegen meine Jeans zu kämpfen, und mich beobachtet. Ich bekomme Herzflattern. Seine Augen stehen eine Sekunde lang in Flammen, aber dann ist er wieder ganz der Alte.
    Eine seltsame Anspannung hängt zwischen uns in der Luft. Das geschieht in letzter Zeit immer häufiger. Wenn ich Beck dabei ertappe, mich anzustarren, wendet er den Blick ab oder tut, als wäre er mit etwas anderem beschäftigt, und dann gehen wir einander für eine Weile aus dem Weg, bis die Verlegenheit vorüber ist.
    Aber dafür haben wir heute Morgen keine Zeit, und so strecke ich ihm in der Hoffnung, dass es ihn ablenken wird, die Zunge heraus.
    »Jetzt reicht’s aber!«, knurrt er scherzhaft.
    Ich werde vom Boden hochgerissen und durch die Luft gewirbelt. Von dem unerwarteten Gefühl wird mir schwindlig, und ich bin nicht auf das vorbereitet, was als Nächstes kommt. Ich lande so auf meinem Bett, dass meine Beine über die Kante hängen. Beck stürzt sich auf mich und setzt sich rittlings auf meine Taille. Er hält mich entschlossen fest, indem er mir beide Hände mit seiner rechten Hand über den Kopf zieht.
    Ich sehe zu ihm hoch und unterdrücke den Drang, gleichzeitig zu lachen und zu kreischen. »Wir kommen zu …«
    Das Feuer kehrt in seine Augen zurück.
    Es lässt mich verstummen.
    »Zu spät«, sagt er und nimmt mit der freien Hand meinen Anhänger – einen aufsteigenden Vogel – zwischen zwei Finger. »Magst du ihn wirklich?« Er dreht den patinierten Vogel um,
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