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Eisprinzessin

Eisprinzessin

Titel: Eisprinzessin
Autoren: Lisa Graf-Riemann
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hatten einen Mann festgenommen, den sie ohne gültige Reisepapiere im Bus aufgegriffen hatten, und ihn zur Vernehmung ins Präsidium gebracht. Alles, was er vorweisen konnte, war ein scheckkartengroßer Ausweis der Ausländerbehörde, aus dem hervorging, dass er in Salzburg Antrag auf politisches Asyl gestellt hatte. Er war gebürtiger Angolaner, sprach Deutsch mit österreichischem Akzent und verlangte bei der ersten Vernehmung durch die Polizei schon die Hinzuziehung eines Dolmetschers – worüber sich Kollege Brunner tierisch aufregte.
    »Was will der, einen Dolmetscher? Der Bimbo spricht doch fast genauso gut Deutsch wie ich, wenn man jetzt mal davon ausgeht, dass Österreichisch auch als Deutsch zählt. Was reden die denn überhaupt da in …? Woher ist der noch mal, sagst du?« Er verschwand an seinen Schreibtisch.
    Meißner verstand nicht, wieso Brunner sich aufregte. Der Angolaner hatte schließlich ein Recht darauf, dass ein Dolmetscher zur Vernehmung hinzugezogen wurde. Kamen sie seinem Wunsch nicht nach, riskierten sie ein Verwertungsverbot der Angaben, die er bei der Vernehmung machen würde, das musste doch auch Brunner in seiner Ausbildung gelernt haben. Für die sprachliche Entgleisung des neuen Kollegen in Bezug auf den Schwarzafrikaner kamen als Ursache nur schlechte Nerven oder Rassismus in Frage. Oder beides.
    Kurz darauf kam Brunner mit einem ausgedruckten Wikipedia-Artikel zurück und trug den Kollegen glucksend vor, dass in Angola Umbundu, Kimbundu und Kikongo gesprochen werde. »Ich wiederhole noch einmal: Umbundu, Kimbundu und Kikongo«, sagte er und fragte dann theatralisch, wo sie einen solchen Dolmetscher hernehmen sollten.
    Zum Glück gab derselbe Artikel auch darüber Auskunft, dass die Amtssprache in Angola Portugiesisch war. Während sie auf die Übersetzerin warteten, die in Eichstätt wohnte, unterhielt sich Meißner mit Antonio Pereira Santos, so hieß der Festgenommene. Er lebte seit fünf Jahren in Salzburg und sprach ausgesprochen gut Deutsch. Die Vernehmung sollte trotzdem erst in Anwesenheit der Dolmetscherin erfolgen. Als diese eintraf, freute Meißner sich, dass er sie sofort wiedererkannte. Er hatte mit ihr vor einigen Monaten bereits im Zusammenhang mit drei Kolumbianern mit gefälschten Pässen zu tun gehabt. Er schaute auf den Namen in der Kartei, García, genau, Vorname: Sylvia.
    »Hallo, Herr Meißner.« Sie strahlte ihn an.
    »Schön, dass Sie Zeit haben«, sagte Meißner. »Kollege Brunner, Frau García. Gibt es eigentlich eine romanische Sprache, die Sie nicht beherrschen?« Er grinste sie an. »Baskisch zum Beispiel?«
    »Baskisch ist keine romanische Sprache«, sagte sie. »Sie ist zwar die älteste europäische Sprache, aber mit keiner anderen Sprache auf der Welt verwandt.«
    Brunner schaute immer konsternierter drein. Was ging denn hier ab? War das jetzt eine Vorlesung oder was?
    Frau García klärte den Beschuldigten über seine Rechte auf und trug ihm vor, was ihm zur Last gelegt wurde: Überschreiten der Grenze und Ausreise aus Österreich ohne gültiges Reisedokument. Pereira Santos lauschte ebenso aufmerksam Meißners Vorgaben auf Deutsch wie der Übersetzung. Auf Nachfrage bestätigte er, dass er alles verstanden hatte. Die Aufmerksamkeit, die ihm so zuteilwurde, gab ihm seine Würde zurück. Jetzt war er wieder ein Mensch mit einer Herkunft und Sprache, nicht nur jemand, der gegen ein Gesetz verstoßen hatte und deshalb festgehalten wurde. Vielleicht wurde er dadurch auch unvorsichtig.
    Auf die Frage, ob er nicht gewusst hätte, dass er ohne Pass Österreich nicht verlassen durfte, erzählte er, dass er seine Frau in Leipzig besucht hatte. Und zwar nicht zum ersten Mal – er war nur noch nie dabei erwischt worden. Er jammerte nicht und beschwerte sich auch nicht. Mehr Anzeichen von Stress als ein paar Schweißtropfen auf der Stirn waren nicht zu erkennen. Er wollte keinen Anwalt anrufen, womit sollte er den auch bezahlen? Was denn nun mit ihm geschehe, fragte er. Meißner erklärte ihm, dass er den österreichischen Kollegen übergeben werde, sobald sie Zeit hätten, ihn in Ingolstadt abzuholen. Bis dahin würde er in polizeilichem Gewahrsam bleiben.
    Damit war die Sache schon erledigt, das Vernehmungsprotokoll unterschrieben. Bevor sie ging, wechselte die Dolmetscherin noch ein paar Worte mit dem Beschuldigten und notierte eine Telefonnummer.
    »Er hat mich gebeten, seiner Frau Bescheid zu geben.«
    Meißner nickte. »Dann bis zum nächsten Mal«,
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