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Eiskalt Wie Die Suende

Eiskalt Wie Die Suende

Titel: Eiskalt Wie Die Suende
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zurückgeben, dieser lehnte jedoch ab. Stattdessen vermachte er die gesamte Summe Denny – mit der Begründung, dass dies ein Teil der Belohnung dafür sei, dass der Junge ihn und Cook entlastet habe, obwohl ihm dies selbst zum Nachteil gereicht hätte. Wie jedoch kaum anders zu erwarten, war eine so stattliche Belohnung mit Dennys Stolz unvereinbar, und deshalb wollte er auch dieses „Almosen“ ausschlagen. Daraufhin fühlten sich alle Anwesenden bemüßigt, Denny den Unterschied zwischen Geld zu erklären, das man als milde Gabe bekam und solchem, das man sich verdient hatte.
    Nachdem Denny diese Unterscheidung nicht mehr ganz so abwegig erschien, sah Shute den Boden bereitet, zum zweiten Teil seiner Belohnung zu kommen: dem Besuch der Georgetown Preparatory School, einer Internatsschule der Jesuiten, an der Shutes Bruder – der ihm ohnehin noch einen Gefallen schuldete – Rektor war. Natürlich würde er auch die Studiengebühren für das College übernehmen, welches Denny nach seinem Abschluss besuchen würde. Diesmal leistete der Junge nur noch geringen Widerstand, bevor er das Angebot dankbar annahm. Den Rest des Nachmittags befand er sich in einem nahezu entrückten Zustand gespannter Vorfreude.
    Im Laufe des Nachmittags fiel Nell auf, dass Will plötzlich verschwunden war. Chloe ließ sie wissen, dass er nur kurz etwas erledigen müsse. Als er zurückkam und Nell ihn fragte, wo er gewesen war, nannte er sie allerdings einen „unverbesserlichen Naseweis“ und schlug rasch ein anderes Thema an. Nachdem sie später noch bei Jacob Wirth’s zu Abend gegessen hatten und dann nach Hause zurückgekehrt waren, schloss er sich fast eine Stunde in der Bibliothek seines Vaters ein. Als er schließlich wieder herauskam, fragte sie ihn nicht einmal mehr, was er dort gemacht habe, wusste sie doch, dass er sie nur wieder wegen ihrer Neugierde aufziehen würde. Und letztlich war er ihr ja auch keine Rechenschaft schuldig – sie war schließlich nicht mit ihm verheiratet. Nicht einmal annähernd war sie das.
    Vertrauen auf das, was man erhofft.
    Nell rollte sich auf der Seite zusammen, schloss die Augen und versuchte, ihre Gedanken zur Ruhe zu bringen und Schlaf zu finden.
    Vertrauen auf das …
    Was man erhofft …
    Erhofft …
    Vertrauen …
    Es war ein leises Geräusch, fast nicht wahrzunehmen, ein federleichtes Flüstern auf dem Kissen hinter ihr. Nell würde es wohl gar nicht gehört haben, wäre es nicht so nah gewesen, keine Handbreit von ihrem Kopf entfernt.
    Reglos blieb sie liegen, mit dem Rücken zur Tür, die links von ihrem Bett war. Wenn sie nicht alles täuschte, war eben etwas neben ihr Kopfkissen gelegt worden.
    Mit geschlossenen Augen und pochendem Herzen wartete Nell – wartete eine Ewigkeit, wie ihr schien –, bis sie das Bett im Nebenzimmer leise knarren hörte und wusste, dass Will sich wieder hingelegt hatte. Nie hätte sie es für möglich gehalten, dass ein Mann von seiner Statur sich so leicht und lautlos bewegen könnte.
    Sie schlug die Augen auf und wartete noch ein paar Minuten, bis es nebenan wieder ganz ruhig geworden war, dann setzte sie sich vorsichtig auf und sah hinter sich. Durch die dünnen Vorhänge schien ein fast voller Mond herein und tauchte das Zimmer in fahles Nachtlicht, sodass sie den Briefumschlag, der mitten auf dem Kissen neben ihr lag, leicht erkennen konnte. Sie hob ihn auf, stellte fest, dass er recht schwer und umfänglich war, und hielt ihn sich nah an die Augen, um entziffern zu können, was in Wills eckiger, maskuliner Handschrift darauf geschrieben stand: Nell.
    Leise und vorsichtig, damit Will sie nicht höre, erhob sie sich von ihrem Bett und trat an das eine Fenster, durch welches dank der Straßenlaterne direkt darunter am meisten Licht hereinschien, und brach das Wachssiegel. Zögernd faltete sie drei dicke cremefarbene Briefbögen auseinander, in die TREMONT STREET NUMMER 148, BOSTON, MASSACHUSETTS eingraviert war – August Hewitts Korrespondenzpapier, das er ordentlich gestapelt auf seinem Schreibtisch in der Bibliothek verwahrte.
    10. Juli 1870
    Meine liebste Nell,
    bitte verzeih mir diesen feigen Brief. Doch manche Dinge lassen sich leichter aufschreiben, als sie laut zu sagen.
    Wenn Du aufwachst, werde ich nicht mehr hier sein. Als ich gestern Nachmittag während unseres Besuchs bei den Cooks kurz verschwand,
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