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Eiskalt Ist Die Zaertlichkeit

Eiskalt Ist Die Zaertlichkeit

Titel: Eiskalt Ist Die Zaertlichkeit
Autoren: Karen Rose
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mit ihm allein zu sein, wie ein verängstigtes Kaninchen reagierte, war Mitgefühl in seine freundlichen alten Augen getreten. »Sie sind geradezu gierig nach Wissen, Miss Stewart«, hatte er gesagt. »Das gefällt mir.« Dann hatte er ihr eine Stelle als seine Sekretärin angeboten, einschließlich aller Vorteile, die das Carrington College seinen Beschäftigten zu bieten hatte. Er erwies sich als flexibel, ließ zu, dass sie ihre Arbeitszeit nach ihrem Stundenplan einrichtete und dass sie Tom in den Schulferien und an den Wochenenden, wenn sie arbeitete, ins Büro mitbrachte. Eli und Dana hatte sie es zu verdanken, dass sie nie einen Babysitter benötigt hatte, nicht ein einziges Mal in den sieben Jahren, seit sie mit kaum mehr als den Kleidern, die sie am Leibe trug, nach Chicago gekommen war.
    Und jetzt war er tot. Eli war tot. Die Trauer durchbohrte sie wie ein Dolchstoß. Er würde es nicht erleben, dass sie ihren Abschluss machte, und sie stand schon so kurz davor. Nur noch ein Vierteljahr, dann hatte sie ihr Diplom in der Tasche. Es war noch immer kaum zu glauben. Sie, die die Highschool abgebrochen hatte, bekam ein College-Diplom. Sie war Dana, die sie so gedrängt hatte, ihren Highschool-Abschluss nachzuholen, zutiefst dankbar, und ebenso Eli, dass er ihr die Chance gegeben hatte, so viel mehr zu erreichen, als sie in ihren kühnsten Träumen für möglich gehalten hatte.
    Ihr Seufzer ließ die Papiere auf dem Schreibtisch rascheln. Und jetzt war Eli tot.
    Caroline warf einen Blick auf die Uhr, entschlossen, sich nicht den ganzen Tag lang ihrem Kummer hinzugeben. Ihr blieb nur noch eine Stunde bis zu Dr. Hunters Eintreffen, gerade noch Zeit genug, die Gehaltsabrechnungen fertig zu stellen.
    Ein schlurfendes Geräusch riss sie aus ihrer Konzentration. Dieses Geräusch hatte sie schon einmal gehört, vor sehr langer Zeit. Es war ein Geräusch, wie es in Krankenhäusern vorkam, von Patienten, die, gestützt auf Stöcken oder Gehwagen, über Fliesenböden schlurften und vor der schmerzlichen Aufgabe standen, wieder laufen lernen zu müssen. Ein Geräusch, das sie immer noch erschauern ließ. Aber sie unterdrückte diesen Impuls. Es war ein ungeschriebenes Gesetz in der Reha gewesen, dass man niemals Mitleid oder Ekel vor verletzten und genesenden Menschen in seiner Umgebung zeigte. Caroline hob den Blick von ihren Papieren, als das Schlurfen aussetzte, und lächelte. Sie sah eine glatte, weiße Hand mit langen Fingern, die das gebogene Ende eines Gehstocks umklammerten. Als sie an der Gestalt hinaufsah, bemerkte sie eine schlanke Taille und einen sehr kräftigen Oberkörper in einem Doppelreiher. Sie schluckte und ließ den Blick weiter hinaufwandern, bis er das Gesicht eines Mannes erreichte, der vor ihrem Schreibtisch stand. Er war groß, größer als Tom. Ein dunkler Typ, aber eindeutig nicht bedrohlich, sein Kinn war kantig und stark ausgeprägt, seine dunklen Brauen waren leicht zusammengezogen, das Haar dicht und schwarz, im Nacken kurz geschnitten. Eine Locke fiel ihm in die Stirn, was ihm etwas Jungenhaftes verlieh. Sein marineblauer Anzug war maßgeschneidert und saß gut an den breiten Schultern. Der Mann trug eine Krawatte mit Paisleymuster, die seine kräftigen Halsmuskeln betonte. Rauchgraue Augen erwiderten ihren Blick, sein ernster Mund zeigte nicht den Hauch eines Lächelns. Abrupt hakte er den Stock hinter seinem Rücken in den Gürtel ein, sodass sein Jackett ihn verbarg.
    Aus unerfindlichen Gründen klopfte Carolines Herz ein wenig schneller. Das war ein Mann, der diese Bezeichnung verdiente, wie Dana sagen würde. Jetzt begriff Caroline, was »Sexappeal« bedeutete. Er entströmte nahezu jeder seiner perfekten Poren.
    Erbarmen.
    Caroline räusperte sich. »Kann …« Sie verschluckte sich fast an dem Wort und spürte, wie ihr vor Verlegenheit die Glut ins Gesicht stieg. Aber ein Mann wie er ließ sicher täglich schmachtende, stotternde Frauen in seinem Gefolge zurück. Sie räusperte sich noch einmal. »Kann ich Ihnen behilflich sein?«
    »Das hoffe ich. Ich suche Caroline Stewart.«
    Die Augen der Frau weiteten sich, und Max hatte plötzlich das Gefühl, dass der Raum um ihn herum enger wurde. Ihr Lächeln war echt gewesen und hatte beinahe ausgereicht, um ihn die strenge Miene vergessen zu lassen, die er an seinem ersten Tag aufsetzen wollte. Ihr dunkelbraunes Haar war zu einem lockeren Zopf geflochten, der ihr bis zur Hälfte des Rückens ging, ein paar Löckchen, die sich daraus
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