Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eisiges Herz

Eisiges Herz

Titel: Eisiges Herz
Autoren: Giles Blunt
Vom Netzwerk:
Mitte fünfzig, die gerade das Haus verließ. Als Cardinal sich vorstellte, sagte sie: »Oh, Detective Cardinal. Mein herzliches Beileid.«
    »Danke.«
    »Sie sind doch nicht etwa dienstlich hier, oder?«
    »Nein, nein. Meine Frau war eine Patientin Ihres Mannes, und …«
    »Ach ja, selbstverständlich. Da werden Sie sicher Fragen haben.«
    Während sie ihren Mann holte, sah Cardinal sich um. Poliertes Eichenparkett, Holzvertäfelungen, Deckenstuck – und das war nur das Wartezimmer. Als Cardinal sich gerade auf einen Stuhl setzen wollte, ging die Tür auf, und Dr. Bell trat ein, größer, als Cardinal ihn in Erinnerung hatte, über einsachtzig, mit einem buschigen braunen Vollbart, der am Kinn zu ergrauen begann, und einem angenehmen englischen Akzent, der weder hochgestochen noch gewöhnlich klang.
    Er nahm Cardinals Hand in seine beiden Hände. »Detective Cardinal, ich möchte Ihnen noch einmal sagen, wie leid mir das mit Catherine tut. Sie haben mein tiefes Mitgefühl. Kommen Sie, treten Sie ein.«
    Hätte in dem Sprechzimmer nicht ein riesiger Schreibtisch gestanden und ein Fernseher gefehlt, hätte es auch ein Wohnzimmer sein können. Bücherregale, bis zur Decke mit medizinischen und psychologischen Fachbüchern, Zeitschriften und Aktenordnern vollgestopft, zogen sich über alle vier Wände hin. Breite Ledersessel, abgenutzt und keineswegs zueinander passend, waren so angeordnet, dass man sich bequem unterhalten konnte. Und natürlich gab es eine Couch – ein bequemes, ganz normales Sofa, nicht so ein strenges, geometrisches Möbelstück, wie man es aus Filmen kannte, in denen Psychiater vorkamen.
    Auf Bells Einladung hin setzte Cardinal sich auf das Sofa.
    »Darf ich Ihnen etwas anbieten? Kaffee? Tee?«
    »Nein, danke. Und danke, dass Sie mich so kurzfristig empfangen.«
    »Keine Ursache. Das ist wohl das mindeste, was ich tun kann«, entgegnete Dr. Bell. Er zog seine Cordhose an den Knien hoch und nahm in einem der Sessel Platz. In seinem irischen Wollpullover wirkte er überhaupt nicht wie einArzt. Eher wie ein Professor, dachte Cardinal, oder wie ein Geiger.
    »Ich vermute, Sie fragen sich, wie es möglich ist, dass Sie nichts geahnt haben«, sagte Bell, als hätte er Cardinals Gedanken gelesen.
    »Ja«, sagte Cardinal. »Da vermuten Sie richtig.«
    »Sie sind nicht der Einzige. Ich bin ihr Psychiater, der Mann, mit dessen Hilfe Catherine seit einem Jahr ihr Innenleben erforscht hat, und
ich
habe es auch nicht kommen sehen.«
    Er lehnte sich in seinem Sessel zurück und schüttelte seinen Wuschelkopf. Cardinal fühlte sich an einen Airedale erinnert. Nach einer Weile sagte Bell leise: »Selbstverständlich hätte ich sie in die Klinik eingewiesen, wenn ich es geahnt hätte.«
    »Aber ist das nicht ungewöhnlich?«, fragte Cardinal. »Dass eine Patientin Sie regelmäßig aufsucht, aber nichts davon erwähnt, dass sie vorhat … Warum sollte jemand zu einem Therapeuten gehen, dem er sich nicht anvertrauen kann oder will?«
    »Sie hat sich mir anvertraut. Selbstmordgedanken waren Catherine nicht fremd. Nicht, dass Sie mich falsch verstehen: Sie hat nie etwas davon erwähnt, dass sie konkret vorhatte, sich das Leben zu nehmen. Aber wir haben natürlich darüber gesprochen, was der Gedanke an Suizid für sie bedeutete. Einerseits erschreckte sie die Vorstellung, andererseits erschien sie ihr sehr anziehend – wie Sie sicherlich wissen.«
    Cardinal nickte. »Es gehörte zu den ersten Dingen, die sie mir über sich selbst erzählt hat, bevor wir verheiratet waren.«
    »Offenheit war eine von Catherines großen Stärken«, sagte Bell. »Sie hat oft gesagt, eher würde sie sterben, als noch einmal eine manisch-depressive Phase durchzumachen – undnicht nur, um sich selbst davor zu verschonen, möchte ich hinzufügen. Wie die meisten Menschen, die an Depressionen leiden, quälte es sie, dass die Krankheit den Menschen, die sie liebte, das Leben so schwer machte. Es würde mich wundern, wenn Sie Ihnen das über die Jahre nicht auch gesagt hätte.«
    »Sie hat es oft gesagt«, erwiderte Cardinal und spürte, wie etwas in ihm zusammenbrach. Plötzlich verschwamm alles vor seinen Augen. Der Arzt reichte ihm eine Schachtel Kleenex.
    Bell ließ einen Augenblick verstreichen, dann lehnte er sich stirnrunzelnd vor. »Sie hätten es nicht verhindern können. Bitte, lassen Sie mich Ihnen das versichern. Menschen, die fest entschlossen sind, sich das Leben zu nehmen, sorgen in der Regel dafür, dass niemand ihre
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher