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Eisige Naehe

Eisige Naehe

Titel: Eisige Naehe
Autoren: Andreas Franz
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nicht, wie lange er diesmal in Kiel bleiben würde, geplant waren zehn bis vierzehn Tage, es konnten aber durchaus auch mehr werden, denn es standen noch mindestens drei weitere Zielpersonen auf seiner Liste. Sein Aufenthalt war bis ins letzte Detail durchgeplant (wobei es immer wieder Abweichungen geben konnte, denn gerade in seinem Job kam es auf den richtigen Zeitpunkt an), jede Minute, jeder Schritt, jeder Augenblick bis zum großen Finale, für das er sich diesmal etwas ganz Besonderes ausgedacht hatte. Etwas, was das Land möglicherweise in seinen Grundfesten erschüttern würde, vorausgesetzt, man ließ die entsprechenden Informationen überhaupt an die Öffentlichkeit gelangen. Etwas, womit keiner rechnete, nicht einmal seine bisherigen Auftraggeber, von denen keiner wusste, dass der Schmidt in der Stadt war. Und er würde zum ersten Mal seinem Grundsatz untreu werden, niemals aus persönlichen Gründen zu töten. Als Schmidt in Kiel eintraf, hatte der Himmel aufgeklart, und die Märzsonne machte Anstalten, den Winter zu vertreiben. Aber sollte der Wetterbericht recht behalten, so würde es nur ein kurzzeitiges Intermezzo sein, bis die Kälte wieder zuschlug.
    Schmidt stellte den Wagen vor der Garage ab, holte den Schlüssel aus seiner Jackentasche und schloss die Haustür auf. Die Luft war stickig, er öffnete ein paar Fenster im Erdgeschoss und drehte die Heizung auf, denn er fröstelte leicht, anschließend ging er nach oben und sah auch dort nach dem Rechten. Alles war noch so, wie er es vor zwei Monaten zurückgelassen hatte. Seinen Aktenkoffer legte er auf den Schreibtisch im Arbeitszimmer, lüftete auch hier kurz durch, streifte die Schuhe ab und zog sich bis auf die Unterhose aus. Danach begab er sich wieder nach unten, schloss die Fenster, warf durch die Vorhänge einen Blick über den großen Garten, der von einer zwei Meter hohen Buchenhecke eingezäunt war. Dazu war das gesamte Grundstück mit hochwertiger modernster Sicherheitstechnologie bestückt, die jeden potenziellen Eindringling sofort abschrecken oder in die Hände der Polizei treiben würde.
    Schmidt kannte alle seine unmittelbaren und auch die meisten etwas weiter entfernt residierenden Nachbarn, hin und wieder wurde er eingeladen, und er selbst veranstaltete jedes Jahr mindestens ein Fest - in der Regel zur Sommersonnenwende oder auch in der Adventszeit, zu dem er alle einlud, die Rang und Namen hatten. Auch am heutigen Abend würde er auf einer Party sein, wo sich nicht nur die High Society aus Kiel, sondern aus ganz Deutschland die Ehre gab, denn die Einladung eines Grafen und höchst einflussreichen Politikers und Unternehmers schlug niemand aus. Nicht nur, um zu sehen und gesehen zu werden, sondern auch, um Geschäfte zu tätigen.
    Mit dem Gastgeber verband Schmidt seit Jahren ein oberflächlich-freundschaftliches Verhältnis, er hatte sogar schon zwei Aufträge für ihn ausgeführt, ohne dass der Graf wusste, dass Hans Schmidt der Liquidator gewesen war und das erledigt hatte, mit dem sich die oberen Zehntausend die Finger nicht schmutzig machten, weil sie es gewohnt waren, dass andere die Drecksarbeit für sie besorgten, während sie die Titelblätter schmückten, in Talkshows auftraten, in den Vorständen und Aufsichtsräten großer Unternehmen saßen, Unternehmen leiteten, Fabriken besaßen, eine gewichtige Rolle in der Politik spielten oder sich in der Kunstszene einen Namen gemacht hatten ... Eines war allen gemein: Sie waren Saubermänner und -frauen, deren düstere und schmutzige Geheimnisse nur Insidern bekannt waren, unter anderem Hans Schmidt.
     
    Schmidt lächelte seinem Spiegelbild zu, fuhr sich mit der Hand über das Gesicht und ging in sein üppig ausgestattetes Sportzimmer auf der anderen Seite des Flurs, um ein paar Übungen zu absolvieren: hundertzwanzig Liegestütze, davon jeweils dreißig mit einem Arm, hundertzwanzig Sit-ups, zwölf Minuten Tai-Chi. Seit über zwanzig Jahren verging kein Tag, an dem er nicht seine Übungen machte, und sofern es seine Zeit erlaubte, joggte er bis zu zehn Kilometer am Tag. Schmidt war nur einen Meter vierundsiebzig groß, dafür sehr schlank und durchtrainiert. Er beherrschte seinen Körper, den er zusammen mit seinem messerscharfen Verstand als sein größtes Kapital sah.
    Schmidt lebte Grundsätze, er aß stets maßvoll, gönnte sich nur hin und wieder ein Glas Rotwein, keine Zigaretten und schon gar keine Drogen. Wie ein Asket betrachtete er seinen Körper als ein Heiligtum
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