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Eisglieder am Dackelrücken - 44 Berliner Szenen (& eine Zugabe) (German Edition)

Eisglieder am Dackelrücken - 44 Berliner Szenen (& eine Zugabe) (German Edition)

Titel: Eisglieder am Dackelrücken - 44 Berliner Szenen (& eine Zugabe) (German Edition)
Autoren: Ansgar Warner
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Gestern zeigte mir meine Kollegin V., dass an den neuen PCs unseres Schöneberger Großraumbüros zwischen Ziffernblock und Cursortasten merkwürdige Hinweiszettel kleben. Zunächst wird von Gesundheitsgefahren orakelt, die “einige Experten” für möglich halten. Darauf folgt ein Cliffhanger: “Lesen Sie die Fortsetzung auf der Rückseite der Tastatur!”
    Also drehte ich das Keyboard um und fand einen noch größeren Aufkleber. Dort waren ausführliche Verhaltenstipps aufgelistet, die “einige Experten” für sinnvoll und angebracht halten. Es hatte dann natürlich viel mit Ergonomie zu tun, man soll sich ordentlich hinsetzen, vernünftige Tische und Stühle benutzen. Besonders überzeugend fand ich aber den Hinweis: Stehen Sie öfter mal auf und laufen herum. Vulgo: Minimieren Sie das Risiko, und hören Sie sofort auf zu schreiben! Diesen Ratschlag habe ich dann auch gleich befolgt und bin mit V. ins Stadtbad gefahren.
    Überhaupt werde ich von jetzt an verstärkt auf Experten hören. Heute Morgen war ich sogar joggen, das ist ja auch im Sinne des Tastaturherstellers. Im Südgelände stieß ich auf eine Gruppe von Nordic-Walkern, die dort gerade mit einer Nordic-Walking-Trainerin irgendwelche Übungen machten. Sehr schnell bewegt haben die sich dabei nicht, und als ich näher kam, schrie die Nordic-Walking-Trainerin plötzlich: “Vorsicht Jogger!!!” Die Damen und Herren bildeten auch prompt eine Gasse, um mich durchzulassen, breit genug für einen Range-Rover. Wahrscheinlich stehen auf den Nordic-Walking-Sticks auch Warnhinweise und Verhaltensmaßregeln, die “einige Experten” für wichtig halten.

Dein Freund, das Hemd
    Neulich kaufte ich bei Wöhrl am Potsdamer Platz ein Hemd von Esprit. Vor dem Waschen checkte ich sicherheitshalber die Waschanleitung. Dabei stieß ich auf eine eingenähte Mitteilung: “If you want this thing to last, I would suggest to machine wash with similar colors only, and tumble dry low. Iron from reverse side if needed! Anyway, I know you are aware of this – Philip”. Darunter stand noch eine Postleitzahl, die verdammt nach New York aussah: NY 10018.
    Prima, dachte ich, die Zeit der Waschanleitungen ist endlich vorbei. Dieses Hemd ist wie ein guter Freund, der einem unverbindliche Tipps gibt. Nur für den Fall, dass man wirklich will, dass das Ding länger hält. Und ausgerechnet Neo-Spießern, die Bügeln notwendig finden, wird geraten, alles mal auf links zu drehen – super! Ich muss sagen, Philip aus New York war mir gleich sympathisch.
    Doch von mir hält er auch große Stücke, denn schließlich geht er ja “anyway” davon aus, dass ich mich in der Hemdenbranche wie in meiner eigenen Hosentasche auskenne. Bei nächster Gelegenheit werde ich Philip zurückschreiben. Den Brief kann ich ja in der Abteilung für Herrenoberbekleidung in die Brusttasche des nächstbesten Esprit-Hemdes stecken. “Hey Philip”, werde ich schreiben, “danke für deine Message wegen des Waschens und Bügelns, ich bin jetzt voll auf dem Laufenden, soweit möglich werd ich mich dran halten. Und by the way: wenn du willst, dass das ganz große Dings möglichst lange hält, dann immer schön die internationalen Arbeitsnormen und Umweltstandards einhalten, aber, anyway, ich gehe mal davon aus, dass es dir an Awareness nicht mangelt. Oder gibt es da bei einem Kaufpreis von 19,95 etwa noch etwas, das ich wissen müsste!?”

Totale Mobilmachung
    Es gibt sie noch, diese Sonntagnachmittagsausflüge, wo man wie Märklin persönlich durch die brandenburgische Modelleisenbahnlandschaft gleitet. Auf der endlosen Spanplattenebene eines von diesen Dörfern, die nur aus zwei Straßen bestehen. Das gelbe Ortsschild nennt einen Namen irgendwo zwischen Scharlach und Schlagloch.
    Am Feldrain grüßt ein verfallener Plattenbau: Clara-Zetkin-Oberschule. Daneben ein paar Betonschuppen der ehemaligen LPG. An der einzigen Kreuzung behaupten zwei alte Emailschilder auf beigem Rauputz: “Straße des Friedens” und “Straße der Einheit”. Dann der Dorfanger mit sauber verfugter Feldsteinkirche – und maßstabsgetreu dazu noch ein Spritzenhaus der Feuerwehr, der Schlauchturm aus ochsenblutrotem Holz. Am Zaun des winzigen Friedhofs hängt ein überdachtes Schild, das von weitem wie ein Kruzifix aussieht. Tatsächlich wird es auch von ein paar Rosen umrankt. Doch statt Schmerzensmann verkündet eine leicht verblichene Schreibschrift das Urteil: “Schönes & produktives Dorf”.
    Die Zeit scheint still zu
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