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Eisglieder am Dackelrücken - 44 Berliner Szenen (& eine Zugabe) (German Edition)

Eisglieder am Dackelrücken - 44 Berliner Szenen (& eine Zugabe) (German Edition)

Titel: Eisglieder am Dackelrücken - 44 Berliner Szenen (& eine Zugabe) (German Edition)
Autoren: Ansgar Warner
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gelandet. Hab’ doch längst die Piratenpartei gewählt, und am Wochenende gönne ich mir statt Urnengang eine Wanderung durch die Märkische Schweiz.

Apfelgrüße
    Die letzte E-Mail hatte H. mit komischen Sonderzeichen aus dem Apple-Flagshop in Soho geschickt. Heute lag eine Postkarte im Briefkasten: “Greetings from New York City”. Beim Treppensteigen betrachtete ich die Abbildung. Oranger Himmel, violette Wolkenkratzer-Skyline, davor in riesigen Buchstaben der Stadtname, und in jedem Buchstaben eine Sehenswürdigkeit. Zum Lesen war’s im Treppenhaus zu schummrig, also stellte ich mich in der Küche ans Fenster.
    “Dear a.”, schrieb H., “metropolistische grüße in die kleine schwesterstadt!” Ich blickte über die Baumwipfel des Mauerparks. Skyline aus vierstöckigen Mietshäusern, in der Ferne Warnbefeuerung am Park Inn und daneben der farbig leuchtende Fernsehturm. “totaler wahrnehmungsrausch, endlose avenues, yellow cabs, obdachlose und …” Rumpelnd fuhr ein Auto über das Kopfsteinpflaster des Gleimtunnels. Doch was war das? “lichtkörnchen”? “leuchtkörper”? Oder doch “eichhörnchen”? H. war Germanistin, und kamen Eichhörnchen nicht in “Der gute Gott von Manhattan” vor, diesem 50er-Jahre-Hörspiel? Das nächste Wort war jedenfalls “eastvillage”, in Klammern “vgl. u.p.’s roman!”, und dann stand da noch “orte, die dir auch gefallen würden, und natürlich dieses unglaubliche licht”. Das letzte Licht in der Küche kam jetzt vom Bildschirm des Laptops.
    Bei Google Earth gab ich “New York” ein. Mit dem größten Zoomfaktor kann man die Fackel der Freiheitsstatue sehen, und die Bagger und Kipplader auf Ground Zero. In der Obstschale lag noch ein Cox Orange vom Eat Organic an der Schönhauser Allee. Hatten die Eichhörnchen in dem Hörspiel nicht Hochhäuser gesprengt? Der Apfel krachte beim Zubeißen. Nicht schlecht, dieses Öko-Zeug.

Camouflage
    Irgendwo zwischen Braunschweig und Berlin-Spandau wird das ICE-Fahrgeräusch plötzlich vom Gekreische eines Formel-eins-Rennwagens übertönt. Ein Geschäftsmann zieht sein Handy aus der Tasche. Am anderen Ende ist offenbar ein Insolvenzverwalter, es geht um die Auslieferung von beschlagnahmter “brauner Ware”, ein verlorenes Fax und ausstehende Gehaltszahlungen. Der Anzugträger wischt sich den Schweiß von der Stirn und holt sich einen XXL-Kaffee aus dem Bistro-Abteil.
    Kaum sitzt er wieder, hört man die Sirene eines amerikanischen Streifenwagens. Die Ehefrau ruft an: “Hallo, Ines, alles im grünen Bereich!?” Den sich vertiefenden Sorgenfalten nach zu urteilen wohl ganz im Gegenteil. “Was!? Ja, ist der denn wahnsinnig? Camouflage! Für Afrika?” Es folgt ein Telefongespräch mit dem Sohn. “Sascha, deine Mutter und ich finden es nicht gut, dass du für deinen Safari-Trip Tarnkleidung und Springerstiefel kaufen willst. Das kann schnell missverstanden werden. Ist ja nicht so einfach wie hier, da unten gibt’s jede Menge irregulärer Milizen, Mensch, du bringst dich in Teufels Küche.”
    Derweil läuft der mobile Brezelverkäufer durch das Großraumabteil, ein Schwarzer in regulärer Bahnuniform. Die Verbindung bricht ab, wir fahren durch ein Funkloch. Der Vater schaut etwas verwirrt, dann hat er den Sohn wieder an der Strippe. “Sascha, pass auf, geh bitte nicht in den Army-Shop, geh lieber zu Jack Wolfskin, da gibt’s schnelltrocknende Spezialkleidung, ich zahl das für dich.” Dann überlegt er kurz: “Aber falls du trotzdem noch im Nato-Laden vorbeischaust, dann bring mir doch bitte zwei lange Unterhosen mit, in Tarnfarben, im Herbst ist es schon ziemlich kalt auf Sylt.”

Endstation Wendeschleife
    An einem Spätsommernachmittag irgendwo im Berliner Speckgürtel. In der Raymond-Queneau-Straße gibt es am Ende eine Wendeschleife. Ich steige in den wartenden Stadtbus ein. Vorne döst der kahlköpfige Busfahrer, aus dem Radio dröhnt ein alter Whitney-Houston-Hit, sonst ist niemand da.
    Als die Abfahrtszeit näher rückt, kommt aus Richtung des katholischen Kinderheims ein Mädchen im rosa Jogging-Anzug gerannt. Sie wedelt aufgeregt mit den Armen, auf dem Anzugoberteil winkt Minnie Maus. Beim Einsteigen redet das Mädchen auf den Busfahrer ein: “Können Sie bitte warten, bis mein Freund da ist!?” Der Busfahrer zuckt mit den Achseln. In einiger Entfernung sieht man jetzt einen pummeligen Jungen auf Tennissocken, der seine No-Name-Basketballschuhe in den Händen trägt. Mit hochrotem Kopf hastet er
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