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Eisglieder am Dackelrücken - 44 Berliner Szenen (& eine Zugabe) (German Edition)

Eisglieder am Dackelrücken - 44 Berliner Szenen (& eine Zugabe) (German Edition)

Titel: Eisglieder am Dackelrücken - 44 Berliner Szenen (& eine Zugabe) (German Edition)
Autoren: Ansgar Warner
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ich dachte, du wärst tot!?”, fragte R. irgendwie pietätvoll. “Nein, tut mir Leid”, sagte ich, fast selbst etwas betroffen. “Du bist also nicht beim Wildwasserrafting in der Extremadura ertrunken!?” – “Nein”, antwortete ich, “ich komme in letzer Zeit selten raus aus Berlin.”
    R. war die Sache peinlich. “Tja, na dann, ‘tschuldigung, ich muss dann wieder, und noch einen schönen Tag!”, sagte er und verschwand eilig in Richtung Haushaltsgeräteabteilung. Ich wählte eine Jazz-CD aus und fuhr irgendwie erleichtert die Rolltreppe hinauf. Nur beim Bezahlen mit der EC-Karte wurde ich plötzlich nervös: “Was ist, wenn mein Girokonto nicht mehr existiert!?”

Im Ausland
    Es gibt Tage im Leben, da steht man irgendwie daneben. Wer hat das noch gesagt, das mit dem Leben und dem Daneben? Ach ja, ich selbst, vor 3 Sekunden. Tschuldigung, aber ich habe ein wenig zu wenig geschlafen in letzter Zeit. Heute morgen bin ich außerdem außerhalb meiner Handy-Homezone aufgewacht. Das kann natürlich ganz einfach bedeuten, dass man nicht zu Hause ist. Oder, dass sich da was verschoben hat. Entweder die Homezone. Oder das Haus, aus der Homezone hinaus.
    Alles was ich weiß ist: Ich war zu Hause, und das Haus war zu Hause, wie ein Blick aus dem Fenster zeigte. Das gab mir ein gewisses Gefühl der Sicherheit. Allerdings lag die Zeitung nicht im Briefkasten. Und meine beiden Mitbewohnerinnen waren offenbar auch nicht da. Die Straßen draußen waren eisfrei, aber menschenleer. Der Bäcker hatte schon auf. Die Brötchenfachverkäuferin wünschte mir überschwenglich einen “wunderschönen guten Morgen!”, als hätten wir uns zehn Jahre lang nicht gesehen. Und fragte dann noch: “Sie sind doch Herr Witzel, oder?” Nein, ich sei nicht Herr Witzel, sagte ich ganz freundlich. Dann ging ich rüber zum Kiosk, die taz kaufen.
    Das letzte Exemplar lag mit einem Pflasterstein beschwert auf der Verkaufstheke. Ich gab dem Kioskbesitzer einen deutschen Euro und zwei griechische Fünfzig-Cent-Stücke. Der kuckte kurz auf den Kopf der Titelseite und gab mir zehn spanische Cent raus. Ich sagte: “Hey, die taz kostet doch nur 1,30!” Der Kioskbesitzer rümpfte den mächtigen Schnurrbart, schüttelte den Kopf und zeigte auf die Titelseite: “Nee, hier steht doch: Ausland 1,90!” Da war es wieder, dieses flaue Gefühl im Magen. Ich formulierte irgendwas wie: “Aber wir sind doch hier nicht im Aus-, sondern im Inland, äh, oder etwa nicht?” Der Kioskbesitzer grinste schief: “Du vielleicht.”

Die Hand an der Bremse
    “Watt wollnse!?” Herr Ständer, weiland mein Fahrradhändler, schaute mich mit großen Augen an. “Ne Handbremse fürn Hollandfahrrad!?” Energisches Kopfschütteln. “Hamwa nich. Gibbs nich mehr. Ditt braucht doch keen Mensch!” Mit dem Brustton des überzeugten Hollandfahrrad-Besitzers entgegnete ich tapfer: “Doch. Ich!” Das schien den Mann nicht zu beeindrucken: “Ja, nee. Gibbs aber nich mehr! Die letzte Firma iss vor vier Jahren in die Binsen! Iss ja ooch kein Wunder, weil immer nur die alten Bremsen produziert!” Zur Bestätigung wies er auf die an der Decke baumelnden Mountain-Bikes mit futuristischer High-Tech-Austattung.
    “Kann man denn auch keine mehr bestellen!?”, fragte ich noch mal vorsichtig nach. Der Fahrradhändler hob seine ölverschmierten Hände in die Höhe: “Nee, nee, ditt könnse vergessen. Vielleicht liegen ja hier noch irjendwo welche rum!” Er drückte seine Zigarette auf dem Tresen aus und wies seinen Gehilfen an, eine Suchaktion zu beginnen. Dann fertigte er brüsk eine junge Frau ab, die ihr repariertes Fahrrad abholen wollte: “Ditt Tretlager hattense ja wohl mindestens zehn Jahre nich gewartet! Mann, mann, mann.” Als die junge Dame etwas pikiert den Laden verlassen hatte, wurde der Händler noch deutlicher: “Fahrrad billig bei Aldi koofen, fahren bis zum Umfallen! Aber doch nicht mit mir! Ich mach meinen Laden bald zu, mir reichts! Ich bin doch nicht euer …” Er musste er sich erst mal setzen und japste wie eine alte Luftpumpe.
    Der Gehilfe kam aus dem Off mit einer klassischen Felgenbremse zurück. Als ich mit dem Restexemplar der ausgestorbenen Gattung den Laden verließ, hatte sich der Chef wieder etwas beruhigt: “Und nehmse wochentags lieber die S-Bahn, zuviel Fahren tut dem Rad nicht gut!”

Straße der Poeten
    “Sag mal, ist deine Cousine immer noch Prenzlauer-Berg-Lyrikerin?”, fragte mich C. neulich. Er liebt es, bei anderen Leuten den
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