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Eiseskälte: Island-Krimi (German Edition)

Eiseskälte: Island-Krimi (German Edition)

Titel: Eiseskälte: Island-Krimi (German Edition)
Autoren: Arnaldur Indriðason
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anderen.«
    »Wieso hat sie eigentlich nicht versucht, sich von einem Boot oder Auto nach Reyðarfjörður mitnehmen zu lassen?«, fragte Erlendur. »Damals gab es doch schon eine ganz passable Straße zwischen Eskifjörður und Reyðarfjörður.«
    »Angeblich wollte sie unbedingt zu Fuß über die Berge. Genau wie die Engländer übrigens. Bei denen war ja wohl trotz Krieg nicht sonderlich viel los, und die Wanderung sollte mal etwas anderes sein, eine kleine Abwechslung in dieser langweiligen einsamen Gegend. Sie hatten auch gar nichts Besonderes in Eskifjörður vor. Bei gutem Wetter ist das eine schöne Wanderung über die Berge, das weißt du sicher. Außerdem hat damals nichts darauf hingedeutet, dass ein Unwetter im Anmarsch war.«
    »Sie hatte also schon vorher mit ihrem Mann darüber gesprochen, dass sie sich diese Wanderung in den Kopf gesetzt hatte?«
    »Ja.«
    »Hat sie auch mit anderen darüber gesprochen?«
    »Davon weiß ich nichts. Wahrscheinlich nicht.«
    Sie blickten hinunter auf den Ort, der friedlich am stillen Fjord kauerte.
    »Was glaubst du eigentlich, was damals passiert ist?«, fragte Erlendur.
    »Ich weiß es nicht«, entgegnete Bóas. »Ich habe keine Ahnung.«
    Als Erlendur ein paar Mal geklopft und ziemlich lange darauf gewartet hatte, dass die Frau am Fenster darauf reagieren würde, öffnete er die unverschlossene Tür und trat unaufgefordert ein. Er wusste nicht, weshalb die Frau nicht zur Tür gekommen war, überlegte, ob sie dazu vielleicht nicht imstande war. Er fand die Tür zum Wohnzimmer, wo die Frau immer noch unbeweglich am Fenster saß. Auf seinen Gruß reagierte sie nicht, sondern starrte weiter zum Fenster hinaus.
    Er ging ein paar Schritte auf sie zu und wiederholte den Gruß. Sie wandte sich zu ihm um und sah mit wütender Miene zu ihm hoch.
    »Ich habe dich nicht hereingebeten«, sagte sie.
    »Entschuldige«, sagte er. »Ich hätte mich anmelden sollen.«
    »Was willst du von mir?«
    »Ich gehe schon wieder, ich bitte um Verzeihung.«
    Ihm war klar, dass er zu weit gegangen war. Man durfte nicht einfach ein fremdes Haus betreten und in das Privatleben anderer Menschen eindringen. Sie war nicht zur Tür gekommen, also hätte er verschwinden und sie in Ruhe lassen müssen. Die Frau war sehr klein, sie saß auf einem Kissen. Wahrscheinlich um die achtzig, dachte er. Die scharfen, stechenden Augen, denen nichts entging, blickten Erlendur forschend an. Sie hatte ein Fernglas in der Hand.
    »Ich denke nicht daran, dieses Haus zu verkaufen«, sagte sie. »Das habe ich euch schon oft genug gesagt. Oft genug. Ich denke nicht daran, ins Altersheim zu gehen. Ich will all diese Veränderungen hier nicht. Macht, dass ihr mit eurem ganzen Mist wieder nach Reykjavík kommt! Ich will nichts mit euch Alubonzen zu tun haben!«
    Er drehte sich in der Tür um.
    »Ich will kein Haus kaufen«, sagte er. »Und mit dem Aluminiumwerk habe ich überhaupt nichts zu tun.«
    »Ach, und wer bist du dann?«
    »Ich würde gern mit dir über deine Schwester Matthildur sprechen.«
    Die Frau sah ihn lange an. Es hatte ganz den Anschein, als hätte sie diesen Namen seit Jahrzehnten nicht gehört, und ihr war anzusehen, wie seltsam sie es fand, dass ein völlig Fremder in ihr Haus eingedrungen war, der Matthildurs Namen kannte.
    »Man hat keine Ruhe vor diesen Leuten aus Reykjavík, die hier alles aufkaufen wollen«, sagte sie schließlich. »Ich dachte, du wärst einer von denen.«
    »Nein, das bin ich nicht.«
    »Man erlebt heutzutage viel Sonderbares.«
    »Das will ich dir gern glauben.«
    »Und wer bist du dann?«
    »Ich komme aus Reykjavík und bin bei der Polizei. Ich habe Urlaub und …«
    »Wieso weißt du von meiner Schwester?«, unterbrach ihn die alte Dame.
    »Ich habe von ihr gehört.«
    »Wer hat dir von ihr erzählt?«, fragte die Frau schroff.
    »Ich habe schon in meiner Kindheit von ihr gehört«, antwortete Erlendur. »Und dann vor Kurzem, als ich mit einem Fuchsjäger oben in den Bergen ins Gespräch kam. Er heißt Bóas. Ich weiß nicht, ob du ihn kennst.«
    »Und ob ich den kenne, den habe ich unterrichtet, als er noch ein kleiner Knirps war, der frechste Junge in der ganzen Schule. Wieso fragst du mich nach Matthildur?«
    »Wie gesagt, ich habe schon in meiner Kindheit von ihr gehört. Dann habe ich Bóas nach dieser Geschichte gefragt, und …«
    Erlendur wusste nicht so recht, wie er es formulieren sollte, woher sein Interesse an einer Frau rührte, die vor so langer Zeit in dieser
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