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Eiseskälte: Island-Krimi (German Edition)

Eiseskälte: Island-Krimi (German Edition)

Titel: Eiseskälte: Island-Krimi (German Edition)
Autoren: Arnaldur Indriðason
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Þórhildur erinnern?«, fragte Erlendur.
    Ezra nickte.
    »Doch, ich erinnere mich gut an die alte Frau, ich bin ihr häufig auf den Straßen hier im Ort begegnet. Aber ich kannte sie so gut wie gar nicht. Eine angesehene Frau. Matthildur … Matthildur ist in guten Händen gewesen.«
    »Willst du sie dann nicht einfach hier ruhen lassen?«, entgegnete Erlendur.
    »Was meinst du?«
    »Wenn sie in guten Händen ist …«
    »Es ist gut zu wissen, dass sie dort liegt«, sagte Ezra. »Es ist eine ziemliche … eine große Erleichterung, endlich zu wissen, wo sie sich befindet.«
    »Das kann ich mir vorstellen«, sagte Erlendur.
    »Ich glaube, ich sollte hier nichts anrühren«, sagte Ezra. »Ich glaube, das nützt niemandem etwas.«
    »Gut«, sagte Erlendur. »Sehr gut.«
    »Ich glaube, es ist für alle das Beste, zu glauben, dass sie bei dem Unwetter verschollen ist«, sagte Ezra. »Dass sie irgendwo oben in den Bergen umgekommen ist.«
    Sie fuhren schweigend zurück zu Ezras Haus. Der Mond war wieder hinter den Wolken verschwunden.
    »Das war es also«, sagte Erlendur, als er vor dem Haus anhielt.
    »Ja, es sieht so aus«, sagte Ezra.
    »Wie fühlst du dich?«
    »Ich komme schon zurecht«, sagte Ezra und streckte Erlendur die Hand hin.
    Erlendur ergriff seine Hand.
    »Was hast du da vorhin ganz allein im Dunkeln mit der Schrotflinte gewollt?«
    »Möchtest du das wissen?«
    »Wenn du es mir nicht sagen willst, dann will ich es nicht wissen«, sagte Erlendur. »Ich werde mich nicht mehr in deine Angelegenheiten einmischen.«
    »Dann lass es uns so halten.«
    »Gut.«
    »Weißt du, was ich gedacht habe, als ich an dem Grab niederkniete?«, fragte Ezra. »Jetzt, wo ich sie endlich nach all diesen Jahren gefunden habe. Weißt du, was ich gedacht habe?«
    Erlendur schüttelte den Kopf.
    »Jetzt kann ich sterben, dachte ich. Nun hält mich hier nichts mehr. Nichts mehr hält mich von ihr fern.«
    Erlendur dachte über Ezras Worte nach und sah die Schrotflinte vor sich, die auf dem Küchenfußboden lag. Er sah Ezra lange an. Der alte Mann sah ihn mit bittenden Augen an.
    »Und was wird aus der Katze?«, fragte Erlendur.
    »Die kommt schon klar.«
    Erlendur sah lange hinaus in die Finsternis.
    »Ich bin froh, dass ich dich kennengelernt habe«, sagte er schließlich.
    »Ich ebenfalls«, sagte Ezra.
    Erlendur blickte dem alten Mann nach, bis er im Haus verschwunden war. Er zündete sich eine Zigarette an. Dann wendete er und fuhr langsam die Auffahrt zum Haus hinunter.
    Er hielt ein weiteres Mal beim Friedhof, nahm die Schaufel aus dem Wagen und die Schachtel mit den Knochen, die er in Daníels Schuppen gefunden hatte. Eigentlich hatte er sie bereits am Tag vorher der Erde anvertrauen wollen, doch dann war ihm die Jahreszahl auf Þórhildurs Grabstein aufgefallen. Dieser Augenblick durfte aber durch nichts gestört werden.
    Erlendur nahm die Schaufel zur Hand und entfernte die Schneedecke über dem Grab seiner Mutter. Dann stach er ein kleines Rasenstück ab, legte es zur Seite und grub sich einen Fuß nach unten. Er legte die Schaufel neben sich, nahm die Schachtel und stellte sie vorsichtig in das Loch.
    Er bedeckte das kleine Grab wieder mit Erde, stampfte sie fest und legte die Grassode darüber. Man konnte kaum sehen, dass jemand das Grab angerührt hatte.
    Damit war diese kleine Bestattung beendet.
    Erlendur sah hinauf in die Berge, in die Richtung des Harðskafi, und dann hinüber nach Bakkasel, doch der verlassene Hof lag im Dunkeln.
    Danach machte er sich zu Fuß auf den Weg zu den Hängen des Berges.

Sechzig
    Er hört, wie sich die Kinderstimme aus der Ferne nähert. Der Reisende ist verschwunden, und mit ihm alles, was ihm gefolgt war, Angst und Schmerz und Kälte. Jetzt sind da nur noch diese Stimme und die Helligkeit, die von ihr ausgeht.
    Sie gehen zusammen an einem sonnigen Morgen den Fluss entlang. Kein Lüftchen regt sich, keine Wolke ist am Himmel. Ihm wird ganz warm von der Sonne. Bergur geht voran, bleibt am Fluss stehen, taucht die Hand ins Wasser und trinkt einen Schluck. Als er die kühlende Wirkung des Wassers spürt, blickt er zu seinem Bruder hinüber. Der ist auch am Ufer niedergekniet. Ihm ist wunderbar leicht zumute.
    »Bist du bereit?«, sagt sein Bruder und steht auf.
    »Ja«, sagt er.
    »Du brauchst nichts zu fürchten, ich bin bei dir.«
    »Ich weiß.«
    Hinter ihnen liegt das Haus, das in der sommerlichen Hitze strahlt. Die friedliche Bergwelt mit ihrer duftenden Vegetation liegt vor ihnen.
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