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Eisenkinder

Eisenkinder

Titel: Eisenkinder
Autoren: Sabine Rennefanz
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Bombenbauer mit 20, Mörder mit 21. Es ist eine Geschichte mit vielen Auf und Abs und enttäuschten Hoffnungen. Nachdem er aus dem Gefängnis herauskam, holte er seinen Abschluss nach, machte eine Lehre als Maurer. Die Eltern schöpften Hoffnung. Er bekam einen Job, er war stolz darauf, sein eigenes Geld zu verdienen – und wurde nach einem Monat wieder entlassen. Das habe ihn schwer getroffen, sagen die Eltern. Sie hofften, wenn er in andere Umgebung komme, dann verändere er sich, lerne neue, andere Freunde kennen. Brigitte Böhnhardt legte ihm eine Anzeige hin, für eine Stelle in Westdeutschland. Doch er landet bei einer Drückerkolonne, zwei Kameraden müssen ihn herausholen.
    Danach hörte er auf, nach Arbeit zu suchen.
    Wenn man die Eltern von Uwe Böhnhardt in Jena erlebt, wie sie mit sich ringen, wie sie immer wieder ihr Gedächtnis durchgehen, um den Punkt zu finden, an dem das Leben von ihrem Uwe, ihrem Nesthäkchen, kippte, an dem sie etwas anders hätten machen können, den Lauf der Geschichte aufhalten, dann hat das etwas zutiefst Berührendes – und Verzweifeltes. Ihre Hilflosigkeit erinnert mich an meine eigenen Eltern. Das erklärt vielleicht auch, warum ich im Gespräch mit Westdeutschen oft das Gefühl habe, die Böhnhardts verteidigen zu müssen. Übertragung nennen Psychologen das.
    Sie haben ein großes Interview gegeben, haben öffentlich Abbitte geleistet für ihren Sohn, den sie vor zehn Jahren zum letzten Mal lebend sahen. »Unsere Schuld wird sein, dass wir kleine Zeichen nicht richtig gedeutet haben, dass wir immer gehofft haben, dass er ernsthafter wird«, sagt Brigitte Böhnhardt.
    2002 fand das letzte Treffen mit den Eltern statt, damals lebten Uwe Böhnhardt und seine Freunde schon im Untergrund. Die Eltern verrieten sie nicht an die Polizei. »Wir hatten Angst, dass wir dann alle drei für immer verlieren würden«, sagt Brigitte Böhnhardt. Sie ahnte nicht, dass die Mordserie damals schon begonnen hatte.
    Normalerweise bin ich diejenige, die die Fragen stellt. Diesmal ist es umgekehrt, Brigitte Böhnhardt will wissen, wie ich den Ausstieg geschafft habe. Ich sage, dass es ein langer, komplizierter Prozess war. Ich erzähle von dem Mann, in den ich mich verliebt hatte, der mir zeigte, dass ein anderes Leben möglich war. Während Böhnhardt und seine Freunde durch die Ablehnung der Außenwelt immer radikaler wurden, sich zurückzogen in ihre eigene, mörderische Gedankenwelt, fing ich an zu zweifeln und Fragen zu stellen.
    Brigitte Böhnhardt hört erst aufmerksam zu, dann sehe ich, wie ihre Gedanken wegdriften. Sie sagt, sie hat auch immer gehofft, Uwe Böhnhardt würde eine Freundin mitbringen, die ihn auf andere Gedanken bringt. Stattdessen kam Beate Zschäpe.
    Beate Zschäpe, die einzige Überlebende des Trios.
    Ich sage nichts. Es gibt keinen Trost. Und doch fahre ich nicht bedrückt zurück nach Berlin. Ich bewundere den Mut und die Offenheit, mit der die Böhnhardts über ihr Scheitern reden, sich verletzlich machen. Es ist ihnen wichtig, dass es nie wieder einen Uwe Böhnhardt gibt, dass andere Eltern nicht dasselbe erleben.
    Ich habe etwas ebenso Banales wie Wichtiges gelernt: Die Wut wird weniger, wenn man über sie spricht. Das ist ein Anfang.

Literatur
    Thomas Ahbe/Rainer Gries: »Gesellschaftsgeschichte als Generationengeschichte«, in: Schüle/Ahbe/Gries (Hg.): Die DDR aus generationengeschichtlicher Perspektive , Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2006
    Rob Bell: Das letzte Wort hat die Liebe. Brunnen-Verlag, Gießen 2011
    Tanja Bürgel: »Mauerfall-Kinder. Wie orientieren sich junge Ostdeutsche 15 Jahre nach der Wende«, in: Berliner Debatte Initial 15 (2005)
    Tanja Bürgel: »Gibt es eine vom ostdeutschen Umbruch geformte Generation?«, in: Schüle/Ahbe/Gries (Hg.): Die DDR aus generationengeschichtlicher Perspektive , Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2006
    Deutsche Shell: Jugend 2000 , Bd. 1
    Martin Dreyer: Jesus-Freak: Leben zwischen Kiez, Koks und Kirche. Pattloch, München 2012
    Christian Fuchs/John Goetz: Die Zelle. Rechter Terror in Deutschland . Rowohlt, Hamburg 2012
    Wilhelm Heitmeyer (Hg.): Deutsche Zustände, Folge 10 , Suhrkamp Verlag, Berlin 2012
    Jana Hensel: Zonenkinder, Rowohlt, Hamburg 20o2
    Käßmann, Margot: »Gottloser Osten?«, in: Chrismon 7/2012
    Claus Leggewie: Die 89er. Porträt einer Generation . Hoffmann und Campe, Hamburg 1995
    Hans-Joachim Maaz: Der Gefühlsstau. Psychogramm einer Gesellschaft . C.H. Beck, München
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