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Eisenkinder

Eisenkinder

Titel: Eisenkinder
Autoren: Sabine Rennefanz
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war diejenige gewesen, die anderen Sex verboten hatte.
    Ich hatte es gutgeheißen, wenn junge Männer in Seminaren von ihrer Homosexualität »geheilt« werden sollten.
    Zu Treffen wurde ich nach einer Weile nicht mehr eingeladen. In gewisser Weise konnte ich die Reaktion verstehen. Die Gemeinschaft war wichtiger als der Einzelne und musste geschützt werden. Doch ich wollte nicht mehr in die Enge der Gemeinschaft zurück. Durch die Uni, durch Alexander war Licht hinter die Mauer gekommen.
    Im Mai 1998 hatte ich meine letzte Uni-Prüfung. Es war ein sonniger Tag, ich zog mein neues blaues Blumenkleid an, das ich extra für den Anlass gekauft hatte. Ich war zuversichtlich, dass ich die Prüfung bestehen würde. Alexander hatte mir in den Tagen zuvor geholfen, hatte mich bekocht, hatte die Themenfelder abgefragt, hatte mir zugehört.
    Nach dem Examen wartete er vor dem Gebäude neben dem Kino Abaton , einen Blumenstrauß in den Händen. Als ich ihm sagte, dass ich bestanden hatte, umarmte er mich. Wir gingen in seine Wohnung, er hatte Sekt zum Feiern gekauft. Ich war stolz auf das, was ich geschafft hatte. Die Angst, nach der Uni Taxi fahren zu müssen, hatte sich aufgelöst. Mein Vater, der gesagt hatte, dass das Leben ein Kampf sei, hatte recht gehabt, aber er hatte die falsche Schlussfolgerung gezogen, nämlich dass eine Niederlage unausweichlich war. Aber es stimmte nicht, es lohnte sich zu kämpfen, sich zu wehren. Ich fühlte mich an dem Tag meines Abschlusses unbesiegbar, das Leben schien leicht.
    Ich hatte mich bei mehreren Verlagen um ein Volontariat in Hamburg beworben. Ein anderer Ort kam für mich nicht in Frage, wegen Alexander. Ich verschickte meinen Lebenslauf und Arbeitsproben an verschiedene Verlage. Als Erstes wurde ich zum Vorstellungsgespräch bei der Frauenzeitschrift petra eingeladen. Ich mochte Magazinjournalismus, hatte während des Studiums bereits für eine andere Zeitschrift geschrieben.
    In der Bibel war die Frau bescheiden, tugendhaft, keusch. In der petra war die Frau genusssüchtig, extravagant, emanzipiert. Es gab eine Rubrik mit dem Namen »Männer zum Bestellen«. Man konnte darin blättern wie in einem Katalog, unter den halbnackten Fotos der Männer standen biografische Angaben (Gewicht, Größe, Beruf) und eine Hotline-Nummer. Es schien mir ein Omen zu sein, wie wenig petra und ich zusammenpassten, dass ich an jenem Tag, an dem ich zum Vorstellungsgespräch in den Verlag musste, einen grauenvollen Ausschlag bekam, mein ganzes Gesicht war mit Pusteln bedeckt.
    Ich schmierte mir Make-Up auf die Haut und machte damit alles noch schlimmer.
    Als ich den Verlag betrat, merkte ich sofort, dass ich falsch angezogen war, ich trug einen schwarzen Blazer, weiße Bluse und einen schwarzen Rock. Ich sah aus wie eine Kellnerin.
    Im Chefbüro warteten zwei Frauen auf mich, die eine etwas älter, eher rundlich und mütterlich, die andere, die einen komplizierten Doppelnamen trug, war dünn, stark geschminkt und hatte Stilettos an den Füßen. Sie blickten nicht unfreundlich. An der Wand hingen die Cover der letzten zwei Jahre. Das Mai-Heft empfahl »zwanzig Wege zu kosmischen Orgasmen«. Ich zwang mich wegzuschauen und rutschte unruhig auf meinem Stuhl hin und her, ich balancierte die Kaffeetasse zu meinen Lippen, immer auf der Hut, nichts auf die weiße Bluse zu verschütten.
    Die Chefinnen gingen meinen Lebenslauf durch, am Ende fragten sie, ob es etwas gebe, was mir an der petra nicht gefiele. Ich überlegte kurz, ob ich ehrlich sein sollte, aber während ich nachdachte, musste ich immer wieder auf die Wand mit den Orgasmen gucken.
    Wenn ich hier arbeiten soll, brach es aus mir heraus, werde ich nie über kosmische Orgasmen schreiben.
    Die Chefredakteurinnen guckten sich an, etwas perplex, aber sie widersprachen nicht. Dann standen sie auf und schüttelten meine Hand. Ich war fest davon überzeugt, dass sie mich ablehnen würden. Aber sie boten mir einen festen Job an. Ich nahm ihn an, auch wenn meine Eltern nicht verstanden, warum ich jahrelang Politik studiert hatte, um dann bei einer Frauenzeitschrift über Lippenstifte zu schreiben. (Dass ich nicht über Lippenstifte schreiben sollte, sondern über Sex und Popstars, machte die Sache aus ihrer Sicht nicht besser.)
    Wenige Tage, bevor ich die Stelle antreten sollte, stand Alexander vor meiner Tür, der Blick ernst und distanziert. Er war gekommen, um die Beziehung zu beenden. Ich war geschockt.
    Danach spielte ich in meinem Kopf Dialoge durch,
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