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Eisblume

Eisblume

Titel: Eisblume
Autoren: Sybille Baecker
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verschwand. »Ich habe meinen Job erledigt. Hinfahren dürft ihr.« Er reichte Brander den Zettel mit der Adresse.
    »Seit wann sagst du mir, was ich zu tun habe?«, fragte Brander und nahm den Zettel entgegen.
    Jens zuckte entschuldigend die Achseln, deutete mit dem Zeigefinger auf seine Nase. »Ich bin krank.«
    »Ich hätte mich impfen lassen sollen«, murrte Peppi vor sich hin, als sie wieder im Auto saßen. Sie hatten den Dienstwagen genommen, und Brander hatte der Kollegin den Platz am Lenkrad überlassen. Noch immer fiel der Schnee in schweren, nassen Flocken.
    »Ich dachte, du hättest …«
    »Ich wollte, aber weißt ja, wie es ist. Erst war so viel zu tun, dann war ich im Urlaub, und jetzt hab ich gedacht, die Grippewelle wäre vorüber.«
    »Du hast aber schon mitbekommen, dass sich letzte Woche bereits fünf Kollegen krank gemeldet haben?«, fragte Brander.
    »Verflucht, und ich bin nicht geimpft.«
    »Tja.«
    »Jedes Jahr lasse ich mich impfen. Jedes Jahr! Ich hab keinen Bock auf Grippe. Ich will Weihnachten nach Rhodos. Ich hab meine Eltern schon so lange nicht mehr gesehen.« Peppis Vater war Grieche, und vor einigen Jahren hatten er und seine Frau Liliane beschlossen, in die Heimat von Philipos Pachatourides zurückzukehren.
    »Mann, so ein Mist! Bist du dir eigentlich im Klaren, dass jährlich mehr Menschen an so einem blöden Virus sterben als …«
    »Peppi«, bremste Brander die Kollegin.
    »Ja?«
    »Jetzt nicht.« Er hatte nicht das Bedürfnis nach einer Diskussion über Grippe, Impfungen und das Gesundheitssystem in Deutschland. Sie waren auf dem Weg zu einer jungen Frau, die sie mitten in der Nacht wecken mussten, um ihr zu sagen, dass ihr Freund tot war. Branders Magen rebellierte bei diesem Gedanken. Er schluckte trocken. Tot. Das Wort hatte in dieser Nacht eine so vielschichtige Bedeutung für ihn, dass er Schwierigkeiten hatte, einen klaren Kopf zu behalten. Immer wieder tauchten Fragmente aus dem Gespräch mit seinem Bruder in seinem Kopf auf. Wir wissen nicht, ob sie durchkommt. Eine Gänsehaut zog sich über seine Arme. Er suchte in seiner Jackentasche nach seinem Handy, sah auf das Display. Keine Nachricht. Es war vier Uhr morgens. Er konnte jetzt unmöglich anrufen. Vielleicht hatte Daniel gerade einen leichten Schlaf gefunden, und er wollte ihn nicht wecken. Brander nahm sich vor, gleich morgens, Punkt sieben Uhr anzurufen und sich zu erkundigen, wie es Babs ging. Nein, bitte komm nicht, hatte Daniel gesagt. Warum? Brander seufzte leise. Sieben Uhr war eine Zeit, zu der er anrufen durfte.
    Jasmin Risch wohnte in Tübingens Weststadt in einem dreigeschossigen Haus in der Gösstraße. Die schmale Straße lag verlassen vor ihnen, als Peppi das Auto in eine kleine Parklücke zwischen aneinandergereihten Kleinwagen manövrierte. Brander warf einen Blick auf die Gebäude. Es herrschte fast ausnahmslos Dunkelheit hinter den Fenstern. Kein Mensch war zu dieser Stunde unterwegs. Lautlos fiel der Schnee in dicken Flocken auf den Asphalt, knirschte unter dem Gewicht ihrer Schuhe auf dem Weg zur Eingangstür.
    »Du oder ich?«, fragte Brander die Kollegin, als sie vor der verschlossenen Haustür standen.
    Peppi hob kurz die Schultern, was unter der dicken Daunenjacke kaum auffiel. »Mach du«, murmelte sie unter ihrem Schal hervor.
    Brander suchte die Klingel, drückte auf den Knopf. Sie warteten eine Weile, als nichts geschah, klingelte Brander erneut. Weitere Sekunden verstrichen, bis sich eine verschlafene Frauenstimme aus der Gegensprechanlage meldete.
    »Ja?«
    »Kriminalpolizei Tübingen. Wir würden gern mit Frau Risch sprechen.«
    »Kriminalpolizei?«, kam es misstrauisch aus dem Lautsprecher.
    »Ja. Kriminalhauptkommissar Andreas Brander. Sie können bei der Polizeidirektion Tübingen anrufen und sich nach mir erkundigen«, versuchte Brander, der Frau ihr Misstrauen zu nehmen.
    »Kommen Sie rauf, ganz oben, rechte Tür.« Der Türsummer wurde betätigt.
    Sie bemühten sich, möglichst leise die Treppe hinaufzusteigen, blieben vor einer verschlossenen Tür stehen. Brander klingelte erneut, und die Tür wurde einen Spalt weit geöffnet. Er sah einen Teil eines jungen Gesichts mit kurzen blondierten Haaren.
    »Haben Sie einen Ausweis?«
    Brander hielt ihr den Ausweis hin. Sie warf einen Blick darauf und öffnete schließlich die Tür so weit, dass die Kommissare eintreten konnten.
    »Sind Sie Jasmin Risch?«, erkundigte sich Brander.
    »Ja.« Sie rieb sich etwas Schlaf aus den Augen,
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