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Einundzwanzigster Juli

Titel: Einundzwanzigster Juli
Autoren: Ravensburger
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Vater und Onkel Yps waren diejenigen, um die man sich Sorgen machen musste.
    Mein Bruder Fabian schrieb Briefe, die sich um Käse, Leberpastete und Burgunder drehten. Er schickte Pakete mit Tee und Spitzendeckchen; keine Woche verging, ohne dass wir eine Überraschung von ihm erhielten. Er schaffte es sogar, Mutter einige Meter reiner Seide zu organisieren, die sie für sich selbst verwendete und nicht für den Laden. Fabian war beseelt davon, seine Familie an denSchätzen teilhaben zu lassen, die sich ihm in Frankreich wie auf einem Tablett darzubieten schienen.
    Mir hatte er einen bunten Rock gekauft, dem Mutter ein Stück schwarzen Stoff ansetzen musste, bevor ich ihn tragen konnte, denn natürlich hatte Fabian mich kleiner in Erinnerung. Einen schöneren Rock habe ich nie besessen. Es gab in ganz Berlin keinen zweiten, und offenbar auch in Würzburg nicht, denn als ich dort aus dem Zug stieg, war es praktisch das Erste, was Lexi und Max an mir auffiel: »Sieh doch, so ein fröhlicher bunter Rock!«
    Selbstverständlich waren sie an diesem Nachmittag für mich noch Tante Lexi und Onkel Max und ich hatte keinerlei Vorstellung, was mich bei ihnen erwartete. Sie hatten keine Kinder, obwohl sie nicht mehr jung und schon etliche Jahre verheiratet waren, und ich wunderte mich, dass sie mich so spontan eingeladen hatten, die erste Ferienwoche mit ihnen zu verbringen. Erst am Abend zuvor hatte Mutter es erfahren, und morgens wachte ich davon auf, dass sie an meinem Fußende hastig den Koffer packte.
    »Aber ich kenne die doch gar nicht!«, wandte ich ein.
    Das stimmte, zumindest beinahe. Ich war ein Blumenkind auf ihrer Hochzeit gewesen, woran ich mich aber kaum erinnerte, und hatte Mutters Vetter und seine Frau danach nur beim jährlichen Familientreffen wiedergesehen, wo sich die von Lautlitz in wachsender Zahl auf die Füße traten.
    »Dann wird es aber Zeit. Du wirst begeistert von ihnen sein!«, erklärte Mutter.
    Damit war die Sache entschieden. Ich war gerade zwölf geworden, zog bei unseren Auseinandersetzungen regelmäßig den Kürzeren und war zu der Erkenntnis gelangt, dass man sich die Luft zum Streiten sparen konnte. Außerdem ging es ja nur um eine Woche.
    Weder Tante Lexi noch Onkel Max wussten, wie man mit Kindern umgeht; zwangsläufig blieb ihnen nichts anderes übrig, als mich wie einen normalen Menschen zu behandeln. Ich bekam dieStadtführung, die jeder ihrer Besucher bekam, und danach wanderten wir in die Umgebung, schwammen, besuchten Museen und kehrten in Gaststätten ein. Es war auch ihr Urlaub, normalerweise verbrachten sie, wenn überhaupt, nur die Wochenenden zusammen. Während Onkel Max, der sich als Reserveoffizier bereithalten musste, dichtete und an der Würzburger Universität Alte Geschichte lehrte, entwickelte Tante Lexi in Berlin Bordinstrumente für Flugzeuge.
    Und sie entwickelte sie nicht nur, sie testete sie auch! Meine Tante war schon damals die einzige Frau in Deutschland, die die Erlaubnis zum Fliegen sämtlicher Flugzeugtypen besaß. Ihre Spezialität bestand darin, sich mit Sturzkampfbombern in die Tiefe fallen zu lassen und dabei irgendwelche Messungen anzustellen – ein gutes Dutzend Mal am Tag, was ihr inzwischen eine gewisse Berühmtheit eingetragen hat.
    In der Woche, die ich mit ihnen verbrachte, machte Tante Lexi allerdings keinen halsbrecherischen Eindruck auf mich. Sie war klein, zierlich und hübsch mit braunen Locken und einer weichen Stimme, malte und bildhauerte in ihrer Freizeit und hörte dabei Sinfonien auf einem heiseren alten Grammofon. Onkel Max prahlte zwar, im Fliegeranzug käme sie daher wie der Erzengel Michael persönlich, aber in meinen Augen unterstrich das nur, wie sehr er zur Übertreibung neigte.
    Mein Onkel, Maximilian von Lautlitz, erinnerte an einen zu groß geratenen Jungen: schlaksig, laut, vergnügt, ein Riese mit freundlichen, überraschend hellblauen Augen, der auf unseren Wanderungen den Kopf einziehen musste, wenn er durch die Tür einer Landgaststätte trat. Lachte er, und das tat er ausgiebig, schaute man auf eine winzige Lücke zwischen seinen Vorderzähnen, die ihm etwas zusätzlich Lausbubenhaftes verlieh.
    Im Gegensatz zu ihm wirkte Tante Lexi zurückhaltend und besonnen, ein Eindruck, an dem sie mir nur ein einziges Mal Anlass gab zu zweifeln. Wir waren mit dem Auto unterwegs gewesen zueiner Wanderstrecke im Steigerwald und als Onkel Max nach längerer Fahrt in einen Parkplatz einbog, wähnte ich uns am Ziel und wollte meinen
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