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Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman

Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman

Titel: Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman
Autoren: Helmut Krausser
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Niederlage empfunden. Ein wenig hatte er sich
aufs Rentnerdasein sogar gefreut. Zwei Jahre war das nun her. Seitdem hatte er
oft darüber nachgedacht, sich an dieser miesen kleinen Lügnerin zu rächen, und
an ihren beschissenen Eltern, am besten an der ganzen gottverfluchten Familie,
aber ihm war kein Weg eingefallen, auf dem er am Ende sich selbst nicht am
meisten geschadet hätte.
    Eben verließ der vorletzte Gast, ein junger, abstoßend
gutaussehender Mann das Lokal, und Ekki saß nun allein am Tresen.
    Er bat die Kellnerin – eine Schwarze, fast in seinem Alter,
vielleicht ein paar Jahre jünger, das ließ sich bei dunkelhäutigen dikken
Menschen so schwer sagen – um ein letztes Bier. Sie meinte, kopfschüttelnd, das
sei jetzt aber wirklich das allerletzte, und er müsse es schnell trinken, es
würde ihn hoffentlich nicht stören, wenn sie derweil die Stühle auf die Tische
hebe, irgendwann wolle auch sie in den Feierabend.
    »Hast du Familie?« Ekki maßte sich aus einer Laune heraus das Du an,
aber das taten hier so viele andere auch. Die Kellnerin schien sich daran nicht
zu stören. Dasselbe sei sie seltsamerweise eben bereits gefragt worden. Diesmal
antwortete sie etwas ausführlicher.
    »Hier nicht. Drüben in den Staaten. Zwei Brüder, ein paar Cousins,
etliche Neffen und Nichten.«
    »Wie lange warst du schon nicht mehr dort? In den Staaten?«
    »Ewig.«
    »Wie heißt du?«
    »Minnie.«
    »Und richtig?«
    »Minnie. »
    »Das ist keine Abkürzung für was?«
    »Nee. Reicht dir das nicht?«
    Minnie stellte Ekki das Bier hin, eine Flasche, denn der Zapfhahn
war schon abgesperrt.
    »Danke.«
    »Und du? Du hast keine Familie?«
    »Nein. Doch. Ne Schwester. Liegt nebenan auf dem Matthäikirchhof.
Sie ging gern braungebrannt durchs Leben. Ist ihr zum Verhängnis geworden.
Hautkrebs.«
    »Scheiße.«
    »Geh bloß nie ins Solarium!«
    Minnie schwieg und verzog nur den Mund, wie über einen mißlungenen
Scherz, obwohl der Scherz so schlimm nicht war, eher banal harmlos, jedenfalls
nicht rassistisch gemeint, nein. Sie wuchtete einen Stuhl nach dem anderen auf
die Tische und wischte den Boden, nur dort, wo es nötig war.
    »Ich heiße Ekkehard.«
    »Und richtig?«
    »Ekki. So hat mich immer nur meine Schwester genannt. Und meine
Skatbrüder. Du kannst mich auch so nennen.«
    »Dann mach ich das.«
    »Wie sieht dein Abendprogramm denn aus? Brätste nen Truthahn?«
    »Truthahn? Wie kommste denn darauf?«
    »Ach, nein, das ist das Erntedankfest, wenns bei euch Truthahn gibt.
Verzeihung! Die Neue Welt ist meine ja nicht.«
    Minnie fand den leicht korpulenten, altmodisch
gekleideten, aber stets sauber rasierten Mann ganz nett. Sie glaubte, denn sie
hatte ihn oft beobachtet, daß er sich seine Ausgaben gut überlegen mußte,
dennoch gab er immer Trinkgeld, sagte auch jedesmal Dankeschön, wenn man ihm
ein Getränk brachte.
    »Bei mir gibts heute Schwarzwälder Kirschtorte. Eiskalt, mit heißem
Tee. Danach vielleicht ein paar Royal-Cauldron-Chips.«
    »Was sind denn
Royal-Cauldron-Chips?«
    »Die sind gut. Sind’n bißchen teurer. Für Feiertage.«
    »Aha.«
    Eine Pause entstand. Minnie hielt inne und sah zu, wie ihr letzter
Gast den halben Inhalt der Bierflasche in sich hineinstürzte, so als wolle er
sich aus Rücksicht schnell verabschieden, um niemandem zur Last zu fallen.
    »Was machst du denn so?«
    »Ich war Lateinlehrer.«
    »Jetzt nicht mehr?«
    »Nein.«
    »Du könntest doch Nachhilfestunden geben.«
    Ekki fand den Vorschlag irgendwie eigenartig. Daran hatte er nie
gedacht. Er schüttelte den Kopf, langsam, mit Aplomb, als müsse er seine
Entscheidung bekräftigen.
    »Nein. Weißt du, Minnie, die Schüler mochten mich nicht. Die Schüler
konnten Latein nicht leiden und ließen es immer an mir aus. Davon hab ich die
Nase voll. Latein ist ein so wunderbares Fach. Man kann soviel lernen, und
immer kam ich mir vor wie … wie ein Eisschrankvertreter in Grönland.
Verstehst du?«
    Minnie stützte sich auf einem der Tische ab, lehnte den Wischmob an
die Wand und sah Ekki in die Augen. »Nein. Weißt du, in Grönland braucht man
Eisschränke ganz dringend. Da sind es manchmal schon im März fünfzehn Grad
plus, wenn es dann keinen Eisschrank gibt, verderben die Vorräte alle. Und es
gibt nicht an jedem Eck nen Supermarkt, wo man mal schnell was nachkaufen kann.
Das war ein schlechter Vergleich!«
    Ekki machte ein erstauntes Gesicht und mußte lächeln. Er trank sein
Bier aus und legte einen Fünfer auf den
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