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Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman

Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman

Titel: Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman
Autoren: Helmut Krausser
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Tisch.
    »Stimmt so!«
    »Nein, Ekki, drei Bier, das macht sieben zwanzig.«
    »Oh! Tut mir leid.« Er legte noch ein paar Münzen nach.
    »Ist schon okay. Was lernt man denn im Lateinunterricht so
Wunderbares?«
    »Ach ja … Willst du das wirklich wissen?«
    »Solang ich hier den Boden wische, kannst du mir gern noch was
erzählen. Wenn du Lust hast.«
    Ekki winkte erst ab, dann kam ihm die Geste des Abwinkens arrogant
vor. »Naja, das Römische Reich, weißt du, da kann man furchtbar viel von
lernen, die hatten erst Könige, dann eine Republik, dann Diktatoren, dann
Kaiser, dynastische Kaiser und Soldatenkaiser … Und Marionettenkaiser …
Ist ein Sinnbild für Macht und Verfall. Wie alles anfängt, in Kraft und Größe,
dann endet, in Hybris und … äh, naja.«
    »Aha.«
    »Die hatten alles. Man hat das Gefühl, alles, was es gibt, gabs
schon mal, im Römischen Reich. Und diese Sprache! Aber ich geh jetzt besser …«
    »Wie du meinst, Ekki. Wenn du glaubst, ich bin zu blöd, daß du mir
was Lateinisches erzählst …«
    »Wie bitte?« Ekki sah leicht verstört drein. »Nein, das wollte ich
nicht zum Ausdruck bringen, ich dachte, ich texte dich hier zu, und du willst
deinen heiligen Feierabend und Torte …«
    »Ich hab nie Latein gehabt. Kannst du dir ja wohl denken.«
    »Ja?« Ekki wußte nicht recht, wie er diese Auskunft einordnen
sollte.
    »Dann erzähl mir halt was!« Minnies Tonfall wirkte auffordernd
genug, daß er ihren Wunsch ernstzunehmen beschloß.
    Ekki überlegte. Endlich erzählte er um des Datums willen eine
anfangs noch betuliche Weihnachtsgeschichte. Wie der Kaiser Tiberius alles Volk
im Riesenreich habe schätzen lassen, nach der langen Pax Augusta, ein Begriff,
den er erklären mußte, so kamen sie ins Reden, meist redete Ekki, und Minnie
stellte ab und an Zwischenfragen.
    Kaiser Tiberius sei ein fieser Despot gewesen, der erfolglose
Astrologen von einer Brücke stürzen ließ und sich im Swimmingpool mit Knaben
amüsierte, die er seine Elritzen nannte, ob sie wisse, wieso?
    Diese Drecksau, kommentierte Minnie, als Ekki ihr gesagt hatte,
wieso. Und Ekki durfte für lau noch zwei Bier trinken, während der Laden schon
abgesperrt war. Beinahe hätte Minnie ihm angeboten, mit zu ihr nach Hause zu
kommen, aber sie hätte danach nichts weiter anzubieten gehabt, außer dem, von
dem sie aus nicht nachvollziehbaren Gründen annahm, daß er darauf keinen Wert
legen würde, Tee und Schwarzwälder Kirschtorte. Das, worauf er, wie sie dachte,
eher Wert legen würde, war sie zu geben nicht bereit.
    Als sie sich trennten, auf der Monumentenstraße, als wäßriger Schnee
in ihre Krägen drang und einen schnellen Abschied anmahnte, fanden beide, daß
der Abend bis dahin überraschend kurzweilig verlaufen war. Und Minnie sagte,
sie wolle unbedingt bald noch mehr von jenem Caligula hören, der es mit seiner
Schwester und nem Pferd getrieben habe und abends an der lukullischen Tafel
Leute rein aus sportlicher Neugier (wer schafft wieviele in welch kurzer Zeit)
köpfen ließ. Das sei zwar ziemlich krass, eigentlich zu heftig für ihr Gemüt,
interessiere sie aber durchaus. Sie stamme aus Louisiana, da kenne man solche
Geschichten nicht.
    Das mache nichts, meinte Ekki und sagte etwas über Louisiana und
Napoleon, woraufhin Minnie nickte und grinste, ja beinahe lachte, unter dem
vage geahnten Zwang, etwas Witzartiges verstanden haben zu müssen.
    Nicht alles, doch immerhin etwas war gut in jenem Moment.

3
    Julia und Uwe König hatten sich während ihrer nun bald
sechs Jahre dauernden Ehe für den Weihnachtsabend eine Art Zeremonie
erarbeitet, mit deren Hilfe sie jene Stunden, die sie übereinstimmend als zu
still und dunkel und leblos empfanden, schneller herumzubringen glaubten. Beide
kochten so gut wie nie, und wenn doch, dann ganz einfache Gerichte, viel lieber
gingen sie ins Restaurant oder ließen sich etwas ins Haus liefern. Julia König,
fast vierzig, stand als Managerin einer bekannten Unternehmensberatung kurz
davor, zur Teilhaberin aufzusteigen. Uwe, ihr zehn Jahre jüngerer Gatte, hatte
es bislang nur zum Marktleiter bei Karstadt gebracht, doch zusammen verfügte
das kinderlose Paar über ein Bruttoeinkommen von gut neuntausend Euro im Monat.
Die Königs lebten in einem Charlottenburger Wohlstand, den sie selbst als
bescheiden eingestuft hätten. Regelmäßig am ersten Weihnachtsfeiertag fuhren
sie auf eine Wellnessfarm an der Ostsee, gönnten sich Sauna, Dampfbad und
Fangopackungen, Maniküre,
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