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Einmal durch die Hölle und zurück

Einmal durch die Hölle und zurück

Titel: Einmal durch die Hölle und zurück
Autoren: Josh Bazell
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ein paar arme Teufel sehen, die die Aufgabe haben, Ausschau nach Piraten zu halten. Die Passagierbereiche, die ich überblicke, wie den Nintendo-Dom und den hintersten Indoor/Outdoor-Pool, sind garantiert leer, denn in den fünf großen Restaurants des Schiffes wird seit einer halben Stunde das Abendessen serviert.
    Mr Ngunde kommt nicht zu mir rüber. Das ruft mir ins Gedächtnis, dass er Höhenangst hat, und ich bekomme ein schlechtes Gewissen, weil er bis hier raufkommen musste, um mich zu finden. Und weil ich ihn leichtfertig zu einem Verstoß gegen die Vorschriften verleitet habe, für den man ihn feuern und im nächsten Hafen von Bord schicken würde – wohingegen ich, betrunken und von dem brennenden Wunsch beseelt, gefeuert zu werden, anscheinend aus der Kabine kommen und einen Sicherheitsbediensteten umrennen kann, und der sich sogar noch entschuldigt. Sofern Mr Ngunde keiner speziellen Aufgabe wie dem Fahren der Eisglättmaschine nachgeht, darf er sich nirgends aufhalten, wo er von den Passagieren gesehen werden könnte. Ganz egal, wie sein Hemd aussieht.
    Da ich gerade an die Eisglättmaschine denke, frage ich: »Wie geht’s Ihrem Arm?«
    »Sehr gut, Doktor.«
    Das kommt mir unwahrscheinlich vor. Am linken Unterarm hat Mr Ngunde eine große, vom Ärmel verdeckte Brandwunde, weil er versucht hat, bei heißem Motor Lenkflüssigkeit in die Maschine nachzufüllen. Ich konnte auf dem ganzen Schiff keinen Tetanusimpfstoff finden. Und ich habe auch noch nicht oft genug Tetanus gesehen, um zu wissen, wie besorgt ich deswegen sein müsste.
    »Und der Durchfall?«, fragt Mr Ngunde.
    »Ist zurückgegangen. Essen Sie einfach nichts von dem Eintopf.«
    »Danke, Doktor. Viele Untersuchungen heute Nachmittag?«
    »Geht so.«
    »Irgendwas Interessantes?«
    »Nein.«
    Mr Ngunde will wissen, ob einer meiner Patienten so unzufrieden war, dass er es einem der Abteilungschefs melden müsste. Ich nehme ihm das nicht übel. Irgendwann in den nächsten vierundzwanzig Stunden wird mich ein Vorgesetzter von Mr Ngunde ganz beiläufig fragen, ob Mr Ngunde vor kurzem mit mir gesprochen und dabei irgendwas Interessantes gesagt hat.
    Trotzdem ist es saublöd, denn es ruft mir ins Gedächtnis, dass ich bei einer Kreuzfahrtlinie angestellt bin. Mein eigener Job strotzt vor Privilegien: Ich habe meine eigene Kabine, ich brauche in den meisten Restaurants nichts zu bezahlen und habe – wie der Erste Schiffsarzt – einen Platz im Rettungsboot Nr.  1 , dem des Kapitäns. [3] Aber die meisten meiner Patienten wünschen sich, sie hätten ihre dreckigen Slums und Dörfer nie verlassen. Sie verdienen etwa sechshundert Dollar im Monat, und davon müssen sie die Bestechungsgelder für neue Arbeitsutensilien bezahlen, das Geld für eine Vertretung, wenn sie mal schlafen wollen, die Zinsen für die Darlehen, die sie aufgenommen haben, um herkommen zu können, und die teuren Überweisungen, die verhindern sollen, dass ihre Kinder – da sei Gott vor – je auf einem Kreuzfahrtschiff arbeiten müssen. Ob das, was ich tue, ihr Leben verbessert oder bloß zu ihrer Ausbeutung beiträgt, wird für immer ein Geheimnis bleiben. [4]
    »Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen, Doktor.«
    »Natürlich, Mr Ngunde. Tut mir leid.« Er schwitzt.
    Als er die Luke hinter sich zuzieht, fällt mir das Telegramm ein, das ich vom Klinikfußboden aufgehoben habe. Hole es raus und lese es.
    » ISMAEL .
RUF MICH AN .«
    Interessant.
    Ismael war mein Deckname bei WITSEC , dem nationalen Zeugenschutzprogramm, doch der einzige Mensch, der mich wirklich so nannte, war Professor Marmoset. Der mich in WITSEC unterbrachte und mir dann ein Medizinstudium ermöglichte. Und mich später, als ich in Schwierigkeiten steckte, aus New York City rausholte.
    Marmoset redet nicht viel. Er meldet sich auch nicht oft. Wenn doch, dann ist es ernst. Es könnte bedeuten, dass irgendwo ein Job wartet. Vielleicht sogar als Arzt.
    Vielleicht sogar an Land.
    Doch ohne weitere Informationen sollte man gar nicht erst darüber nachdenken. Der Job, den ich im Moment habe, ist schon beschissen genug, wenn man sich nicht vorstellt, man könnte was anderes tun.
    Also konzentrier dich auf das Schwanken des Schiffes. Spür, wie dich die Übelkeit überkommt.
    Du findest die Antwort noch früh genug raus.

2 Portland, Oregon
    Montag, 13 . August
    Die Frau mit der Betty-Page-Frisur und dem » DR .  LIONEL AZIMUTH «-Schild im Flughafen von Portland ist genau die Person, die
ich
einstellen
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