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Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition)

Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition)

Titel: Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen (German Edition)
Autoren: Josef H. Reichholf
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eher verwirrende, scheinbar nur für Zoologen interessante Systematik? Aus ihr geht hervor, dass in der Zeit von Linné, Mitte des 18. Jahrhunderts, die afrikanischen Flamingos in Europa offenbar nicht bekannt waren. Das Exemplar, auf das sich Linné bei der Namensgebung bezogen hatte, stammte von den Bahamas. Im Europa der Zeit der Aufklärung wusste man also nahezu nichts (mehr) von den afrikanischen Flamingos. Der lebende Phönix blieb erstaunlicherweise den Europäern bis ins 19. Jahrhundert verborgen. Es gab ihn nur als Mythos. Als solcher hatte er sich von der lebendigen Wirklichkeit bereits ziemlich weit entfernt. Dass Flamingos an den Küsten Europas brüten, ist offenbar eine vergleichsweise neue Entwicklung. Afrika, der ›Schwarze Kontinent‹, war noch im späten 19. Jahrhundert zu großen Teilen im Innern terra incognita , also unbekanntes Land. Die Europäer wussten über Indien und Amerika besser Bescheid als über Afrika südlich der Sahara.

Flamingos in Afrika
    Ein Besuch des Nakurusees in Kenia gehört global zu den eindrucksvollsten Naturerlebnissen. Nähert man sich ihm über die höher gelegene Straße, scheint rosafarbener Schaum große Teile der Uferzone zu bedecken. Aus der Nähe wird erkennbar, dass Unmengen von Zwergflamingos dicht an dicht im flachen Wasser stehen. Bewegen sie sich, rollen rote Wogen über das im Licht der äquatorial hoch stehenden Sonne gleißende Wasser. Von der Uferstraße aus differenziert sich das Bild. Höhere, hellere Rosaflamingos begrenzen die dichteren Massen der dunkleren, leuchtenderen Zwergflamingos zur offenen Wasserfläche hin. Unter diesen sind Gruppen grauer Vögel von Flamingogestalt zu sehen. Fliegt ein weißköpfiger Schreiseeadler ( Haliaaetus vocifer ) vorüber, drängeln sich die Massen flügelschlagend zusammen. Dann scheint sich Feuer auszubreiten. Kommt der Adler näher, erheben sich aus stelzbeinigem Laufschritt heraus Hunderte, Tausende oder Zehntausende Flamingos. In wenigen Augenblicken werden sie zu einer roten, von schwarzen Flügelspitzen durchsetzten Wolke. Die Menge verwirrt den Angreifer. Oft haben es die Adler jedoch gar nicht auf die Masse abgesehen. Sie prüfen, ob einzelne, zumal junge, noch grau befiederte Flamingos zurückbleiben, die sie gezielt angreifen können. Unter den Hunderttausenden oder Millionen fallen solche Verluste nicht auf.
    Auf dem salzigen Schlick am Ufer kleben Unmengen rosaroter, tiefroter und schwarzer Federn. Kleine, noch flaumige Federchen mit zarter Rosatönung sammeln Kinder und Jugendliche. Sie kommen von der nahe gelegenen Mission in Nakuru. Broschen oder Gestecke werden aus den Flamingofedern gefertigt und im Souvenirshop verkauft. Die dunkelroten Federn sind am begehrtesten. Das Schauspiel, das den Besuchern am Nakurusee geboten wird, ist grandios. Aber die Fotos, die davon gemacht werden, enttäuschen hinterher zumeist. Nur Könner bringen es fertig, das Flamingowunder wirklich eindrucksvoll festzuhalten. Es sind der Vögel einfach zu viele. Ihre Masse wirkt als Ganzes. Der Bildausschnitt gibt den Gesamteindruck nicht gebührend wieder. Das Rot leuchtet intensiver, wenn man es mit den eigenen Augen sieht, als später auf dem Bild. Von den Safaribussen aus, die sich entlang der Uferstraße aneinanderreihen, wird unablässig fotografiert und gefilmt. Erst Bewegung macht die Flamingos richtig schön. Vom festen Ufer bis zu den Flamingos hinaus erstreckt sich ein breiter Streifen von schmutzig grauem Schlick. Er bekommt eine schwärzlich-scharfe Grenze, wo das Wasser anfängt. Ist dieses tief genug geworden, beginnt die Wand aus Zigtausenden blutroter Beine und roter Vogelleiber. Dünne Hälse züngeln daraus empor, winden sich und verschwinden wieder. Es folgen rosa Partien, denen Köpfe und Hälse zu fehlen scheinen. Diese Flamingos schlafen. Sie tun das tagsüber ausgiebig. Nachts sind sie oft aktiver auf Nahrungssuche als am Tag. Sie brauchen beim Gründeln nichts zu sehen. Sie spüren das Wasser, seine Tiefe und seinen Gehalt an Blaualgen. Je ergiebiger der See ist, desto mehr Zeit können sich die Flamingos zum Ruhen gönnen. Die Nahrung ist so hochwertig, dass 50 oder 60 Gramm am Tag genügen, den Bedarf pro Vogel zu decken. In manchen Jahren wird die Kraftbrühe im Nakurusee so dick, dass die Zwergflamingos das Wachstum der Blaualgen sogar befördern, weil sie Licht in den obersten Wasserschichten schaffen, die sie hauptsächlich durchfiltern. Unter den Scharen der intensiv roten
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