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Einfach ein gutes Leben

Einfach ein gutes Leben

Titel: Einfach ein gutes Leben
Autoren: Peter Ploeger
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auf die eigenen Bürger. Je mehr bezahlbarer Wohnraum dort zugunsten von Investitionsobjekten und schicken Kreativquartieren verschwindet, die nur dem Zweck dienen, die Stadt in eine hippe, mondäne, ergo wirtschaftlich erfolgreiche Trendcity zu verwandeln, desto klarer wird Boeing, wie tief die Kluft zwischen den Interessen beider Seiten werden kann. Das weltweit agierende Kapital gibt den Takt nun auch in den großen Städten an, seine Angelegenheiten werden mehr und mehr zur offiziellen Politik. Bürger heißen aber unter anderem deshalb Bürger, weil sie selbst handeln dürfen und sollen, um nicht alles mit sich geschehen zu lassen. Also nehmen auch Niels Boeing und seine Mitstreiter die Sache in die eigenen Hände und machen mit immer neuen Aktionen die Straßen und Stadtviertel, in denen sie wohnen, zu ihrer höchsteigenen Angelegenheit.
    Lisa Pfleger, Michael Hartl, Frauke Hehl und Niels Boeing stehen stellvertretend für die vielen kaum Sichtbaren, die einUnbehagen oder sogar eine schwelende Wut gegenüber der Form der Ökonomie antreibt, die wir als »Kapitalismus« kennengelernt haben und die heute das Wirtschaftshandeln auf der ganzen Welt bestimmt (indirekt auch das der verbliebenen sozialistischen Länder). Sie sind nicht länger zufrieden mit Lebensmitteln, die billig industriell gefertigt werden. Sie wollen keine Kleidung mehr, die nach einem halben Jahr ausbleicht und mit deren Kauf sie Hersteller unterstützen, die ihre Arbeiterinnen schlecht bezahlen und zu inakzeptablen Bedingungen schuften lassen. Sie sind empört über eine Industrie, die die natürlichen Lebensräume schwer schädigt. Sie reiben sich an den riesigen Warenüberschüssen, die von vornherein für den Abfall produziert werden und zum wirklichen Wohlstand keinerlei Beitrag leisten. Sie schütteln den Kopf über paradoxe Handlungsweisen, etwa Anbauflächen für Lebensmittel zu reduzieren, um dort Pflanzen anzubauen, aus denen Treibstoff hergestellt werden kann – nur um dann Lebensmittel mithilfe eben jenes Treibstoffes von weit her heranzuschaffen. Sie wünschen sich eine Arbeit, bei der sie Gestalt und Qualität von Gütern des alltäglichen Gebrauchs selbst bestimmen und mit der sie sich identifizieren können; sie sind erschüttert darüber, wie viel Macht Wirtschaftsakteure und ihre Lobbyisten bekommen haben; sie sind ermüdet von dem Druck, dass immer alles nach Geld bemessen wird, immer alles sich nach Kontoständen richtet. Sie suchen mehr Menschlichkeit, Selbstbestimmung und eine bessere und gesündere Versorgung mit den Dingen des alltäglichen Lebens. Das sind sehr viele sehr unterschiedliche Motive. Dennoch eint die Menschen in diesem Buch die Erfahrung, die Mängel der kapitalistischen Marktwirtschaft durchschaut zu haben – Mängel, die sie als systematische Fehler ansehen und mit denen sie sich nicht mehr zufriedengeben wollen.
    Sie gehen los und schlagen der Marktwirtschaft ein Schnippchen. Sie ziehen sich ein Stück weit heraus aus dem Betrieb und nehmen die Dinge selbst in die Hand. Sie ahnen, dass die Zeit reif ist, zur Selbstorganisation überzugehen. »So kann es nicht weitergehen« ist für sie mehr als ein Stammtischspruch, sie haben ihn in konkrete Handlungen übersetzt. Mit Spaten und Hammer, mit Laptop, Transparenten und Saatbomben »entmarkten« sie ihren Alltag. Damit setzen sie Prognosen in die Tat um, die von einigen Weitsichtigen schon seit Längerem immer wieder artikuliert wurden. Maria Mies, die seit den 70er-Jahren in aller Welt zu Formen selbstversorgenden Wirtschaftens forscht, stellt fest: »Die Menschen merken, dass etwas zusammenbricht, ohne ganz zu verstehen, was da alles am Zusammenbrechen ist. Viele haben Angst vor Inflation. Sie merken, dass das Öl ausgeht, die Ressourcen der Erde endlich sind. Jetzt wird ihnen klar, dass Selbstversorgung notwendig ist.« »Konsumismus war die Leitkultur der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts«, sagt auch Christa Müller von der Stiftungsgemeinschaft anstiftung & ertomis. »Diese Leitkultur beginnt zu bröckeln, weil sie auf der Illusion des unendlichen Wachstums beruht.«
    Die diffuse Ahnung der Leute, die Mies und Müller umschreiben, nimmt allmählich konkrete Gestalt an. Noch sind die Umrisse der selbst organisierten Gesellschaft in der breiten Öffentlichkeit nicht sichtbar. Die latente Unzufriedenheit und das Unbehagen brechen sich allerdings Bahn, wenn konkrete Vorhaben und Ereignisse ihnen einen Anlass zum Widerspruch geben. In Deutschland
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