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Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)

Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)

Titel: Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)
Autoren: Stephan Niederwieser
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wieder frei atmen konnte. „Das ist ja eine schöne Überraschung. Ich habe dich erst morgen erwartet.“ Ich ging mit ihr in die Küche, um Edvard zu begrüßen; er zupfte sich Gemüsereste von der Schürze und wusch seine Hände im Spülbecken.
    „Guten Abend“, sagte ich und streckte ihm meinen Mund hin.
    „Guten Abend, Professorchen“, erwiderte er und gab mir einen Kuß; wenigstens wollte er das, aber Hannah steckte schnell eine Karottenscheibe zwischen unsere Münder und kicherte, als wir diese küßten anstatt einander.
    „O, du kleines Biest“, sagte ich, während Edvard ein paar ihrer goldenen Locken zur Seite strich und ihre Wange abschmatzte. Dann küßte er mich und machte sich ans Abendessen.
    „Da. Schau!“ wiederholte Hannah und steckte sich das verschnittene Karottengebilde in den Mund.
    „Das kann man sogar essen?“ fragte ich, und sie klatschte mir vor Freude auf die Brust.
    „Vorsicht, das Messer!“ Ich nahm es ihr aus der Hand und legte es auf die Spüle.
    „Hannah ist doch erst morgen dran“, sagte ich zu Edvard. „Ich dachte, du wärst im Geschäft.“
    „Das war ich auch“, antwortete er, während er Thunfischsteaks abspülte. „Bis mich Kim am Nachmittag anrief und sagte, daß Hannah gerade per Kindertelefon mit mir ausgemacht hat, daß ich sie holen komme.“ Er schaute mich hilflos an. „Sie stand schon mit ihrem Köfferchen an der Tür, Bernhard“, rechtfertigte er sich. „Sie hat auf mich gewartet.“
    „Da hast du dich in ein Taxi gesetzt und sie geholt“, vervollständigte ich. Es war ja nicht das erste Mal; die Kleine verbrachte mittlerweile mehr Zeit bei uns als bei ihrer Mutter.
    Kim war eine verrückte Nudel. Jahrelang hatte sie alles mögliche ausprobiert: Verkäuferin in einer Boutique, Stewardeß, Office Managerin bei einer Softwarefirma, bis sie zufällig in diese „Modell-Geschichte“ hineingeschlittert war und sich binnen zwei Jahren eine namhafte Modellagentur aufgebaut hatte – da war viel Glück mit im Spiel gewesen, zur rechten Zeit die richtigen Leute und so weiter. Jedenfalls war sie mittlerweile gut im Geschäft und hatte kaum mehr Zeit für Hannah. Edvard sah kein Problem darin; ich bezweifelte allerdings, wie gut das für die Kleine war.
    „Du bist mir ein Püppchen“, flüsterte ich Hannah ins Ohr und küßte sie. Sie kicherte und wand sich in meinen Armen, bis ich sie auf den Boden stellte, dann ging sie an den Küchentisch hinüber, um ihr Werk zu sortieren. Die blütenförmigen Karottenscheiben legte sie vorsichtig in eine Schüssel, die Schnipselreste auf das Zeitungspapier. Es war wirklich schwer, ihr etwas auszuschlagen.
    Ich lehnte mich mit verschränkten Armen an die Küchentheke und schaute Edvard beim Kochen zu.
    „Und? Was hast du Neues gelernt?“ fragte er.
    Ich hatte mal wieder den Nachmittag in der Staatsbibliothek zugebracht. Ich liebe es, zu lesen und zu studieren, meinen Geist zu trainieren. So verrückt es klingt, aber wenn mich der Unterricht streßt, dann gehe ich nach der Schule schnurstracks in eine Bibliothek und fühle mich binnen einer halben Stunde entspannt wie nach einem langen Spaziergang.
    „Ich habe keinen ruhigen Platz gekriegt. Unglaublich, so kurz vor Weihnachten. Man würde annehmen, die Studenten sitzen schon zu Hause bei ihren Eltern. So bin ich eben zur alten Giese ins Antiquariat und hab gestöbert.“
    „Was gefunden?“
    „Nö. Aber sie könnte mir eine Erstausgabe von Goethes Achilleis vermitteln.“ Hinter der war ich schon seit Jahren her.
    Edvard schaute mich mit großen Augen an. „Mmh“, sagte er, gab einen Tropfen Spülmittel auf eine Mango und wusch sie gründlich ab. Bücher interessierten ihn nicht, und er hatte kein Verständnis dafür, daß ich so viel Geld für sie ausgab.
    „Aber sie ist mir zu teuer“, sagte ich.
    Jetzt schälte er die Mango und schnitt sie auf. Edvard arbeitete mit einer ungeheuren Konzentration. Es fasziniert mich, ihm beim Kochen zuzusehen, jedesmal. Seine Lippen waren angespannt, und in seinen Augen sah ich, daß er in Gedanken seinem Handeln mehrere Schritte voraus war.
    „Was wird das eigentlich?“ fragte ich mit einem Blick auf den Berg von Gemüse, der auf der Spüle lag.
    Edvard ging selbstsicher zu Werke: wenn er im Laden stand, wenn er sich die Zähne putzte, sich anzog, kochte, ja sogar, wenn er schlief. Alles, was er tat, wirkte professionell, tausendmal geübt und einstudiert, bis zur Perfektion vollendet.
    „Thunfisch an Mangosoße. Dazu
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