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Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen

Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen

Titel: Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Toten.
    Schweißüberströmt schwankten sie dann zum Flugzeug zurück und hofften, daß Schwester Rudolpha draußen saß und Pater Juan gestorben war. Aber er lebte noch immer. »Es gibt keinen gnädigen Gott!« knurrte Peters und ließ sich auf den Boden fallen. »Wenigstens bei einem Priester sollte er seine Gegenwart zeigen!«
    »Wieviel Nahrungsmittel haben wir noch?« fragte Gloria nüchtern. Peters hatte sich vor dieser Frage gefürchtet, nun knallte sie ihm ins Gesicht.
    »Für drei Tage. Eine Dose mit Keksen und eine Dauerwurst.«
    »Und dann?«
    »Wir fangen uns etwas.«
    »Was denn? Moskitos? Um satt zu werden, müßten Sie einige Millionen essen. Oder haben Sie andere Lebewesen hier gesehen?«
    »Es gibt kein Stück Erde ohne Tiere. Das habe ich gelernt. Wo Pflanzen sind, sind auch Tiere.«
    »Ein paar Vögel. Zugegeben. Aber wie wollen Sie die fangen? Mit einem Blatt Papier und Spucke?«
    »Mit Pfeil und Bogen.«
    »Bis wir den ersten Vogel gefangen haben, sind wir so entkräftet, daß wir den Bogen nicht mehr hochhalten können.«
    »Worauf wollen Sie hinaus, Gloria?«
    »Wir müssen an einen Fluß. An irgendeinen Fluß. Ganz gleich, wie er heißt, wohin er fließt … nur ein Fluß. Das habe ich von meinem Vater gelernt: Wo ein Fluß ist, ist ein natürlicher Weg! Jeder Fluß endet einmal in einem anderen, größeren Fluß oder in einem Meer. Er kommt immer ›irgendwo‹ an, wie Vater sagte. Es ist noch kein Fluß im Land verschwunden. Sehen Sie das ein, Hellmut?«
    »Ich mag zwar blöd aussehen, Gloria, aber ich bin's nicht.« Peters lächelte schief. Ich bringe sie noch davon ab, dachte er dabei. Sich durch einen unerforschten Urwald schlagen, Tausende von Quadratkilometern ›weißes Land‹ auf den Landkarten, das ist absoluter Wahnsinn. »Wie alt sind Sie, Gloria?«
    Sie zuckte zusammen, als habe er sie geschlagen, und blitzte ihn mit ihren hellblauen Augen wütend an.
    »Siebzehn!«
    »Und ich bin 26! Sie sind minderjährig. Ich übernehme freiwillig die Aufsicht über Sie! Wir bleiben hier. Ein Kompromiß: Wir warten noch drei Tage –«
    Sie antwortete nicht, wandte sich ab und ging hinüber zu Schwester Rudolpha, die aus dem Wrack kletterte.
    Aber beim Abwenden hörte er deutlich, wie sie zwischen den Zähnen sagte: »Idiot –«
    Da lachte er jungenhaft, denn soweit hatte er sie schon durchschaut, um festzustellen, daß Mißachtung bei ihr anders klang.
    In der Nacht löste Gloria Hellmut Peters bei Pater Juan ab. Der Verbrannte, der nicht sterben konnte, rang nach Luft. Sein Mund war so weit aufgerissen, daß sein ganzes Gesicht nur noch aus der Rachenhöhle bestand.
    »Im Cockpit habe ich eine Landkarte gefunden«, sagte Peters. »Irgendwo muß eine sein, dachte ich mir. Auch ein so lauer Verein wie diese Urwaldpiloten fliegen nicht ohne Karten. Und wirklich: In den Trümmern der ganzen Geräte lag sie. Eine gute Karte, aber man müßte wissen, wo wir sind. Und das steht nicht drauf.«
    Sie krochen aus dem Wrack, setzten sich draußen in den Mondschein, der durch das Loch des Blätterdaches, das ihr Flugzeug gerissen hatte, wie ein Stichscheinwerfer hereinschien. Schwester Rudolpha lag unter dem Stumpf des abgebrochenen rechten Flügels, ein Tuch gegen die Moskitos über dem Gesicht, und schnarchte laut. Die Schulterwunde begann rot und aufgedunsen auszusehen. Es war, als sei das Fleisch mit Hefe gespritzt und quelle nun hoch.
    »Wenn sie Wundfieber bekommt«, hatte Peters gesagt, »sieht es schlimm aus.«
    Und Gloria hatte stockend geantwortet: »Das ist kein Wundfieber, Hellmut. Das wird ein Wundbrand –«
    »Hier ist Leticia«, sagte Peters jetzt und fuhr mit dem Zeigefinger über die Karte. Sie hatten sie über ihren Schößen ausgebreitet, saßen eng beieinander, und ihre Wangen berührten sich, als sie sich über die Karte beugten. Es war eine Berührung, die sie wie ein elektrischer Schlag durchzuckte. Ein paar Schläge lang trommelten ihre Herzen, so daß jeder vom anderen glaubte, er müsse es hören. Sie starrten auf die Karte und schwiegen.
    »Und hier Porto Velho«, sagte Gloria endlich mit kleiner Stimme. »Dazwischen liegt Unendlichkeit.«
    »Wir hätten noch etwa zwei Stunden Flugzeit gehabt.« Peters umkreiste mit dem Finger ein Gebiet, das leer war, bis auf ein paar wirr gewundene Flüsse. Das ›unbekannte Land‹. »Wir müssen also hier sitzen. Südlich des Rio Xiruá. Die nächsten Siedlungen sind Bóca do Moaco am Rio Pauini oder Mamoriá am Rio Purus; jede rund 200
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