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Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen

Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen

Titel: Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Kilometer von uns entfernt. Das sind 200 Kilometer Hölle, Gloria. 200 Kilometer Weg, den wir uns durch den Urwald freischlagen müssen. Daran zerbrechen wir!«
    »Mein Vater hat gesagt: Jeder Mensch ist so gut wie sein Wille.« Sie riß die Karte vom Schoß, faltete sie zusammen und schob sie unter sich. »Wir haben das Überleben im Urwald geübt.«
    »Mit dem Wissen im Rücken: Mir kann nichts passieren. Gloria, sie werden uns suchen und hier finden. Glauben Sie es mir. Es ist nur eine Frage der Zeit und der Geduld.«
    »Gut, warten wir. Die Großjährigen haben ja immer recht!« Sie preßte trotzig die Lippen zusammen und sah doch so wundervoll aus, daß Peters' Herz wieder zu trommeln begann. Er beugte sich plötzlich vor, nahm ihren Kopf in beide Hände und küßte sie. Ihre Lippen blieben zusammengepreßt, sie ertrug den Kuß, stieß Peters dann mit beiden Fäusten weg und sprang auf.
    »Lassen Sie das!« sagte sie rauh. »Ich mag das nicht!«
    Sie kroch zurück in das Wrack, setzte sich neben Pater Juan und sah, daß er gestorben war. Sein aufgerissener Mund war geschlossen. Er brauchte keine Luft mehr zu saugen. Dafür hatte er die Augen geöffnet und starrte Gloria an. Schöne, tiefbraune Augen.
    Er sah gar nicht aus wie ein Toter.
    In dieser Nacht begannen plötzlich die bisher unsichtbaren Affen zu kreischen. Peters, der aus dem Wrack blickte, sah zunächst nichts. Dann aber spürte er, wie eisige Kälte in ihm hochstieg.
    Auf der Lichtung, am Rande des Mondscheins, stand ein dunkler, niedriger, länglicher Schatten mit zwei grünen, phosphoreszierenden Punkten.
    »Ein schwarzer Panther –«, sagte Peters heiser und legte den Arm um Gloria. »Der erste Teufel dieser Hölle hat uns entdeckt.«

4
    Was Gloria befürchtet hatte, war eingetreten: Sofort nach dem SOS-Ruf des Funkers waren in Leticia und Porto Velho drei Suchflugzeuge aufgestiegen und flogen die Route ab, die die Postmaschine nach Flugplan nehmen mußte. Aber da war nichts zu sehen: kein Einbruch in die geschlossene Walddecke, keine rauchenden Trümmer, keine in der Sonne glitzernden Wrackteile, keine winkenden Menschen. Nur schweigendes Grün, silbern glänzende Flüsse, ein paar offene Flecken, wie Geschwüre auf einer Haut – Sümpfe.
    Fünf Tage flog man hin und her, so niedrig, daß die Fahrwerke fast die Baumwipfel streiften. Dann kehrte man resignierend auf die Flugplätze zurück.
    Nichts! Die Maschine mußte vom Kurs abgekommen sein. Bevor der Funker nach dem SOS die Position bekanntgeben konnte, mußte das Unglück geschehen sein. Eine gottverdammte Schlamperei, zugegeben, eine riesige Sauerei, ohne Zweifel, aber diese Erkenntnis brachte nicht elf Menschen wieder.
    Am sechsten Tag begann man, die Gebiete seitlich der Flugroute abzusuchen. Dr. Pfeil flog selbst mit, bereit, mit dem Fallschirm abzuspringen, wenn man etwas entdeckte. »Das erste, was man immer brauchen kann, ist ein Arzt!« sagte er.
    Aber es schien, als brauchten diese elf Menschen keinen Arzt mehr.
    Wo sollte man suchen in dieser grünen Unendlichkeit?
    Die Funksprüche gingen hin und her. Militärhubschrauber wurden eingesetzt, aber ihr Aktionsradius war zu beschränkt. Was nutzte es, wenn sie ein Gebiet Meter um Meter untersuchten, und Tausende unbekannter Quadratkilometer lagen noch um sie herum?
    »Wir müssen warten oder beten!« sagte der Kommandant der kleinen Garnison vom Porto Velho zu Dr. Pfeil. »Ich würde mich fürs Beten entscheiden.«
    Man hatte nie einen hilfloseren Menschen gesehen. Er kannte den Urwald, er war ein Sohn dieses Landes. Er wußte, daß ein Mensch zum Mond fliegen, aber niemals die grüne Hölle erobern kann.
    Nach sechs Tagen begann Schwester Rudolpha zu glühen, als hinge sie über einem offenen Feuer. Die Wunde sah schrecklich aus: ein braunroter Krater, aus dem der Eiter floß. Sie konnte den Arm nicht mehr heben, und ihre Zunge lag so dick im Gaumen, daß sie kaum noch sprechen konnte. Sie mußte die Worte über diesen gequollenen Kloß hinwegschieben.
    Seit zwei Tagen hungerten sie auch. Der Vorrat aus dem Wrack war aufgebraucht. Peters hatte sich einen Bogen gebaut und dünne Äste zu Pfeilen geschnitzt, aber die Affen, denen er auflauerte, lachten ihn aus, schwangen sich von Baum zu Baum, kreischten, wenn er nach ihnen schoß, und schnitten Fratzen.
    Auf die schönen, bunten Vögel zielte er gar nicht, denn sie waren zu schnell, flogen wippend vorbei und wichen so allem Zielen aus.
    Ein paarmal versuchte Gloria, fette,
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