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Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen

Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen

Titel: Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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der Unwirklichkeit. »Die Blutung kommt zum Stehen. Mach dir keine Sorgen.« Dann kroch sie wieder an ihren Platz und blickte zurück auf den zuckenden Feuerschein am Himmel.
    Einmal – Peters hatte jeden Zeitbegriff verloren, das Floß trieb schneller den Fluß hinab – wachte auch Serra auf. Er tastete nach seinem Kopf und grunzte tief.
    »Das war ein Splitter«, sagte er mühsam. »Junge, war das ein Splitter. Ein halber Baum kam mir entgegen. Ich dachte, mir haut es den Kopf ab.« Er drehte das Gesicht zur Seite und tastete nach Peters' Hand. »Was macht Ihr schönes Mädchen, Hellmut?«
    »Sitzt da wie versteinert und weint seit ein paar Minuten.«
    »Die Nerven …«
    »Nein! Ihr Mord an Xéré.«
    »Der junge Indio?«
    »Ja.«
    »Sollte ich mich vor ihm verbeugen wie in der Tanzstunde und um den Arm der jungen Dame bitten? Es hat keinen Sinn, den Weibern mehr Verstand anzudichten, als sie haben. Sagen Sie bloß, sie macht uns noch Vorwürfe, daß wir sie herausgeholt haben! Verdammt, ich schmeiße sie in den Fluß, wenn sie mir dämlich kommt!«
    Das Sprechen und Schimpfen strengte ihn doch gewaltig an. Er lag nach seinem Ausbruch wieder still, schloß die Augen, und Peters wußte nicht, ob er wieder schlief oder nur still Kraft sammelte. Er redete ihn nicht an, sondern kroch hinüber zu Gloria.
    Das Floß trieb schnell über den Fluß. Er war breiter geworden, der Dschungel stand wie eine riesige Mauer an seinen Ufern. Über ihnen glitzerten die Sterne und machten die Nacht so hell, daß sie sich ansehen und jede Bewegung in ihren Gesichtern erkennen konnten.
    Gloria hatte aufgehört zu weinen. Der letzte Rest ihrer Erschütterung war mit diesen Tränen aus ihr geflossen. Jetzt lag nur noch die Zukunft vor ihr, der Fluß, die kommenden Stromschnellen, die unbekannte Weite, in die sie hineinschwammen, die Tage oder Wochen, bis irgendwo an diesem Fluß oder an dem Fluß, in den er einmal münden würde, die erste menschliche Siedlung auftauchte und das Leben wieder begann.
    »Wie geht es ihm?« fragte sie stockend.
    »Er ist ruhig. Die Wunde hat aufgehört zu bluten. Er kann schon wieder fluchen.«
    »Ihr habt ein schönes Floß gebaut«, sagte sie leise.
    »Stabil. Es wird uns aus dem Wald hinaustragen.«
    Sie saßen nebeneinander, hielten sich an den Händen und blickten in das leise gurgelnde Wasser des Flusses. Das Floß drehte sich zweimal um sich selbst, sie hörten Serra aufstöhnen und dann eine polternde Stimme.
    »Verflucht! Ist denn keiner in der Lage, mit dem Ruder zu lenken?«
    Das Floß drehte sich noch einmal, dann schwamm es wieder gut in der alten Richtung. Es war klar, daß Serra am Steuerruder saß und lenkte, trotz seiner Kopfwunde und der Schwäche durch den großen Blutverlust.
    Gloria kroch zu ihm hinüber und streckte ihm die Hand hin.
    »Was soll das?« fragte Serra knurrend.
    »Ich danke Ihnen.« Es klang spröde.
    Serra zögerte, dann griff er zu, nahm Glorias Hand und führte sie zaghaft und linkisch an seine Lippen. Es war sicherlich der erste Handkuß seines Lebens. Abrupt ließ er sie aber auch los und stieß sie von sich.
    »Blödsinn!« schnaufte er. »Danke. Ich kriege 5.000 Dollar von dem Jungen! Und dann fliege ich nach Manaus und versaufe alles! Manaus ist eine tolle Stadt, hoho-hehe, vor allem, wenn man Weiber hat, hoho-hehe …«
    Er sang mit rauher Stimme, kehrte Gloria seinen Rücken zu und versteckte so die Rührung, die ihn überwältigt hatte.
    Dann kam der Morgen: zaghaft zuerst mit einem silbernen Streifen am Himmel, dann strahlend mit einer Sonne, unter deren Strahlen sich die Nacht auflöste und das unendliche Blau aus dem Schoß der Dunkelheit geboren wurde.
    Daß Floß trieb schnell in der Mitte des Flusses. Er war breit und mächtig geworden und so schön wie das Gefühl, mit jedem Meter zurück ins Leben getragen zu werden.
    »Es geht nach Südwesten«, sagte Peters und blickte in die Sonne.
    »Vielleicht mündet er in den großen Rio Purus«, sagte Gloria.
    »Sicherlich!« Peters legte den Arm um ihre Schulter. Serra saß noch immer am Steuer und grinste ihnen zu. Ein Kerl ohne Müdigkeit, ein Paket voll Kraft.
    »In ein paar Tagen schon können wir zu Hause sein …«
    »Der Junge bleibt ein Spinner!« rief Serra, aber er lachte dabei. »Glaub' ihm nichts, Gloria! Es kommen noch die Katarakte.«
    »Die überfliegen wir!«
    »Sag ich's nicht?« Serra drohte fröhlich mit der Faust. »Ein liebenswerter Idiot! Er verläßt sich wirklich darauf, daß die Liebe
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