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Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen

Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen

Titel: Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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riß vor Schreck den Mund weit auf.
    Pedro Dalques war nie ein übermäßig mutiger Mensch gewesen, und auch als Pilot war er nur gute Mittelklasse, aber in diesen Minuten wuchs er über sich hinaus und wurde aus tiefster Verzweiflung ein Held.
    Fast senkrecht stürzte die Maschine auf die grüne Wand herunter. Ein unheimliches Heulen umgab sie, und das war lauter als die Schreie der Passagiere, die übereinanderfielen, gegen die Decke und Wände geschleudert wurden, sich irgendwo festklammerten und dann das Entsetzen der Todesangst durchlebten.
    Gloria war von ihrem Sitz gerissen und gegen die linke Wand geschleudert worden. Sie lag auf Hellmut Peters, der zwischen zwei Sitzen eingeklemmt war, aber die Arme frei hatte. Mit ihnen umschlang er Glorias Körper und hielt ihn fest, als das Flugzeug sich noch steiler stellte und kreischend die Luft durchbrach. Schwester Rudolpha lag ohnmächtig an der Tür zum Cockpit, Pater Juan klammerte sich an einer Sitzlehne fest, die anderen Passagiere bildeten ein Knäuel aus um sich schlagenden Armen und Beinen. Jeder hieb auf jeden ein, sinnlos, in einem plötzlichen Irrsinn, als könne man damit sein eigenes Leben retten.
    Pedro Dalques starrte auf die rasend schnell näher kommenden Bäume. Die Feuerfahne wehte bis zu seinem Fenster und dachte gar nicht daran, durch die Zugluft abgeblasen zu werden. Im Gegenteil schien sie sich über die kräftige Nahrung zu freuen. Die Flammen wurden breiter und fraßen sich mit triumphaler Schönheit weiter.
    »Maria, bitte für uns …«, stammelte Pedro. Er umklammerte das Steuerrad, zog es an sich, um die Maschine wieder hochzureißen, und kapitulierte vor dem Schicksal. »Bitte für uns Sünder … Amen!«
    Das Leitwerk gehorchte nicht mehr ganz. Wohl kam das Flugzeug in die Waagrechte, aber es stieg nicht mehr. Hundert Meter über der grünen Hölle raste es mit flammendem Motor dahin, eine Fackel, die in wenigen Minuten zu einer explodierenden kleinen Sonne werden würde.
    Der Funker hing in seinem Sessel und war besinnungslos. Aus einer Kopfwunde strömte das Blut über sein leeres Gesicht. Das Schreien im Passagierraum hatte aufgehört … nun folgten die Sekunden des völligen Schweigens, der Eintritt in die Ewigkeit, die Lähmung vor dem Unausweichlichen.
    »Ich – ich setze auf …«, sagte Pedro völlig sinnlos. »Herr, sei bei uns –«
    Die Maschine streifte die ersten Baumwipfel. Die Räder wurden abgerissen, als seien sie aus Papier. Gas weg! Zündung weg. Gleiten … Pedro, gleiten … sanft aufsetzen … vielleicht ist alles halb so schlimm … vielleicht nehmen dich die Äste auf wie tausend tragende Arme … Gleiten –
    Mit einem knirschenden Laut, der bis in die Knochen drang, tauchte das Flugzeug in den Urwald. Die Flügel lösten sich und flogen allein weiter, Glas und Holz splitterte, der brennende Motor zerplatzte und spuckte eine feurige Flut über den auseinanderbrechenden Rumpf.
    Erst da schrien die Menschen wieder, und es waren Schreie, die nichts Irdisches mehr an sich hatten …

2
    Gloria erwachte, weil der Regen auf ihr Gesicht trommelte. Sie hing oben in einem riesigen Baum zwischen zwei Ästen, die sie festhielten wie vielfingrige Hände. Unter ihr, verborgen zwischen dichtem Unterholz, Lianen und Büschen, qualmten die Trümmer des Flugzeuges. Etwas tiefer von ihr, am gleichen Baum, hing der dicke Pflanzer. Er war auf einem Ast aufgespießt wie ein präparierter Schmetterling. Das Flugzeug hatte eine Schneise in den Wald gerissen. Der auseinandergeplatzte Rumpf brannte noch immer, trotz des Mittagregens.
    Gloria schloß die Augen, drückte das Gesicht an ihre linke Schulter und weinte.
    Sie blieb in den Ästen hängen, bis der Regen aufhörte und die Sonne wieder glühend an einem stahlblauen Himmel stand, so, als habe jemand mit einem Ruck ein graues Tuch weggezogen, das vor das Licht gespannt war. Sofort dampfte der Urwald, die überschüssige Feuchtigkeit zog in Schwaden davon, es roch nach Fäulnis, Schimmel, Verwesung und süßlichem Tod.
    Ich lebe, dachte Gloria. Ich lebe wirklich. Ich lebe allein in einer Welt, die niemand kennt.
    Allein?
    Sie wagte nicht, sich zu rühren, schob nur den Kopf etwas zur Seite und blickte nach unten.
    Dort regte sich nichts. Die verstreuten, qualmenden, auseinandergerissenen und verbogenen Teile des Flugzeuges, der noch immer flammende Klotz des Motors mit einem Teil der Tragfläche, der aufgespießte dicke Pflanzer, alles war Vernichtung, war Tod, auch der vor Kraft
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