Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine unberührte Welt

Eine unberührte Welt

Titel: Eine unberührte Welt
Autoren: Andreas Eschbach
Vom Netzwerk:
zwanzig Jahren begonnen hatte und seither nicht verklungen war.
    »Du solltest es mal mit ’ner Frau versuchen, Pete«, sagte Ricardo, der das Mittelbett gegenüber bewohnte. »Hat echt was.«
    Pete schlug schnaubend die Decke zurück. »Wenn ich deine Ratschläge hören will, werd ich’s dich wissen lassen, okay?«
    Es gab eigentlich nur zwei denkbare Bereiche, in denen sich eventuelle blinde Passagiere aufhalten konnten: die Maschinensektion oder die Materialgondeln. Letztere enthielten alles, was dereinst für den Aufbau der Kolonie an Geräten und Grundausstattung erforderlich sein würde, doch während des Fluges waren sie vom Wohntrakt aus unzugänglich. Man hätte einen Raumanzug anziehen und etwa zweihundert Meter Kletterpartie über dünnes, nicht für Kletterpartien gedachtes Rohrgestänge hinter sich bringen müssen, und das scheiterte schon daran, dass die wenigen Raumanzüge vom stellvertretenden Kommandanten höchstpersönlich verwaltet wurden. Abgesehen davon, dass die Materialgondeln bis auf den letzten Kubikzentimeter gefüllt waren. Um darin zwanzig Jahre zu überleben, hätten die blinden Passagiere etliche Mähdrescher, Sägemaschinen und Saatguttonnen über Bord werden müssen, und dass man ihnen das dereinst nicht verzeihen würde, konnten sie sich ja wohl ausrechnen.
    »Wisst ihr«, begann Pete mit jammervoller Stimme, »ich wünschte wirklich, ich wäre auf der Erde geblieben.«
    »Geht das wieder los«, knurrte Ricardo.
    »Ich werde vierundsechzig sein, wenn ich meinen Fuß wieder auf den Boden eines Planeten setze. Vierundsechzig! Was hat mich bloß getrieben, in dieses verdammte Raumschiff zu steigen? Ich weiß es wirklich nicht.«
    »Darf ich deinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen?«, bot Ricardo an. »Könnte es etwas mit der Kriegsgefahr zu tun gehabt haben? Mit Umweltverschmutzung und Übervölkerung? Hast du dich möglicherweise sogar um diesen Platz beworben, eine Million Auswahltests absolviert und Luftsprünge gemacht, als die Zulassung kam?«
    Leonhard, der das Bett gegenüber Wim hatte, wälzte sich herum und knurrte unüberhörbar: »Verdammt, könnt ihr das bitte bei Tag diskutieren? Es gibt Leute hier, die schlafen wollen. Und vergesst nicht, ich bin in dem Team, das die Kundschaftersonden einfangen muss. Hängt einiges ab davon, dass ich ausgeschlafen bin, okay?«
    Die anderen murrten trotzdem, und die Luft war noch immer zum Schneiden dick. Wim Freese erwog, eine seiner Ruhetagsmarken gleich morgen einzulösen, einfach um in Ruhe nachdenken zu können.
     
    Natürlich durfte man vor lauter Hirngespinsten nicht die Grundlagenarbeit vernachlässigen. War die Frau, deren Gesichtsskizze er in einem verborgenen Winkel seines Memopads abgelegt hatte, im Verwaltungssystem gespeichert oder nicht? Was ließ sich aus der Information machen, dass ihre Chipnarbe praktisch unsichtbar war? Alles Fragen, die sich einfach beantworten ließen, wenn man Zugriff auf das System hatte.
    So kam es, dass Freese am nächsten Tag in voller Schutzmontur in eine der Verwaltungsstellen stürmte, mit dem Analysegerät fuchtelte und rief: »Schnell, alles raus! Wir haben eine Faulgasblase im System, die jeden Moment eindringen kann!«
    Die Frauen und Männer sprangen bleich von ihren Plätzen auf, ließen sich widerstandlos hinausdrängen. »Anstieg!«, schrie Freese, um sie noch mehr zu motivieren. »Schließen Sie die Türen von außen! Lassen Sie niemanden herein, ehe ich nicht Entwarnung gebe!«
    Als er allein im Raum war, nahm er den Kopfschutz und die Handschuhe ab, setzte sich vor eines der Terminals und zückte sein Memopad. Gespannt tippte er die Zugangscodes für gesicherte Bereiche ein, die ihm jemand gegen monatliche Rationen an Narko-Punkten regelmäßig zukommen ließ, und war im System.
    Der reine Gesichtsabgleich brachte, wie es typisch für diese Art Abfragen war, nichts Brauchbares, aber dafür erwies sich die medizinische Datenbank als ergiebig: Er fand eine erstaunliche Zahl von Frauen, deren Chipnarbe als kaum sichtbar klassifiziert war. Zwar ähnelte keine davon der Gesuchten auch nur ansatzweise, trotzdem überspielte er die Daten in sein Memopad, um Pavlov die Bilder zeigen zu können.
    Dann zog er seinen Schutzanzug wieder an und strich eine winzige Spur Buttersäure auf die Gitter der Belüftungsrohre. Er öffnete die Tür und erklärte den Wartenden, die die Nase rümpften ob der Düfte, die ihn begleiteten: »Keine Gefahr mehr. Die Luft ist rein. Na ja, fast
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher