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Eine unberührte Welt

Eine unberührte Welt

Titel: Eine unberührte Welt
Autoren: Andreas Eschbach
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einfach.
    Die Geschichte erschien, wieder einmal übersetzt von der unvergleichlichen Claire Duval, im April 2002 in der Anthologie »Détectives de l’Impossible«. Auf Deutsch erschien sie erstmals im Dezember desselben Jahres in dem österreichischen Literaturmagazin VOLLTEXT: Hat man mir zumindest gesagt, ein Belegexemplar erreichte mich leider nie.
     
    An Bord eines Auswandererschiffes gibt es auch Jobs, die nicht im offiziellen Stellenplan stehen. Wim Freese war offiziell Klimatechniker – ein wichtiger und ehrbarer Beruf in einem Raumschiff, das einen Flug von 34 Jahren Dauer mit begrenzten Vorräten an Luft und Wasser überstehen soll –, aber sein eigentlicher Job war der einer Wühlmaus, eines Ermittlers, eines Ohrs und Auges, eines Beschaffers von was auch immer. Sein Name war der heiße Tipp, den man bekommen konnte, wenn man in Schwierigkeiten war und sich nach jemandem umhörte, der einem helfen konnte, an den Regeln vorbei, wenn es sein musste. Wenn man etwas brauchte, das es nicht gab. Wenn man etwas suchte, das nicht zu finden war.
    Etwas – oder jemanden …
    »Eine Frau?«, vergewisserte sich Wim Freese.
    »Nicht einfach eine Frau«, sagte Pavlov. » Die Frau.« Er drehte an der Fenstersteuerung. »Ich kann sie nicht vergessen, verstehst du?« Die Blenden fuhren zurück, das Licht in der Kammer erlosch, und die sternendurchsetzte Leere draußen wurde sichtbar und ließ einen die Enge des Aussichtsraums weniger bedrängend empfinden. »Zumindest will ich wissen, wer sie war.«
    »Ist mir schon klar, was du willst.« Freese zog sein Memopad heraus, hauchte den zerkratzten Schirm an und polierte ihn mit dem Ärmel. Er zückte den Stift. »Also nochmal. Getroffen hast du sie am vierten, etwa zwei Stunden nach Schichtbeginn?«
    »Genau. Ich war hinten in der Hydroponik A, da arbeitet man immer allein, und es ist eine verwachsene Ecke. Uneinsehbar, würde ich sagen. Und heiß, wegen der Strahler.« Pavlov atmete, als laste die Erinnerung auf seiner Brust. »Ich hatte gerade mein Oberteil ausgezogen und war am Zurechtschneiden, da steht sie plötzlich vor mir. Nackt. Und mit einem Blick … Sie sagt nichts, streckt nur die Hand aus, berührt mich …« Er schluckte schwer.
    »Wie sah sie aus?« Mal ein bisschen Nüchternheit reinbringen. Immerhin, für den Auftrag würde er einen guten Preis aushandeln können, das stand fest.
    »Schön wie eine Göttin. Unglaublich schön.«
    »Haarfarbe? Körpergröße? Brustumfang?« Freese sah hinaus und ertappte sich dabei, Ausschau zu halten nach sich bewegenden Lichtpunkten. Doch man würde die Kundschaftersonden, die demnächst zurückerwartet wurden, nicht sehen können.
    »Blond. Große Augen mit langen Wimpern. Große Brüste. Schlanke Taille. Lange Beine.«
    Freese klopfte ungeduldig mit dem Stift gegen das Memopad. »Geht’s nicht ein bisschen genauer? Das ist eine Beschreibung, die ungefähr auf zehntausend Frauen an Bord zutreffen würde.«
    »Nein«, schüttelte Pavlov inbrünstig den Kopf. »So eine Frau hast du an Bord noch nicht gesehen. Ich schwör’s.«
    Freese deutete hinaus zu den gleichgültig glimmenden Sternen. »Von da draußen wird sie ja wohl kaum gekommen sein. Denk mal nach. Irgendwelche besonderen Merkmale, abgesehen von ihrer göttlichen Schönheit?«
    Pavlov dachte nach. »Sie hat nichts gesagt, aber als sie gekommen ist, hat sie was gestöhnt, das wie oh my god klang. Ich würde sagen, ihre Muttersprache ist Englisch.«
    »Na, das ist doch schon mal was.« Freese notierte das zufrieden. Die weitaus meisten Kolonisten an Bord stammten aus Kontinentaleuropa. Diese Information und nachher eine kleine Sitzung mit dem Gesichtssimulator, und das Problem würde sich auf eine simple Datenbankabfrage reduzieren. Was er natürlich für sich behielt. »Sonst noch etwas?«
    »Ja. Ich glaube, sie hatte keinen Chip.«
    »Alle Frauen haben den Chip.«
    »Du hast mich gefragt, oder? Ich habe keinen Chip bemerkt.«
    »Du warst ja auch mit anderem beschäftigt.«
    Pavlov sah ihn missmutig an. »Ich habe jeden Quadratzentimeter ihrer Haut … gesehen. Sie hatte keinen Chip. Sie hatte nicht einmal eine Narbe.«
    »Hmm.« Freese notierte das und setzte ein Fragezeichen dahinter. Der Chip steuerte die Fruchtbarkeit, und er war Vorschrift. Aber bei manchen, vor allem bei jungen Frauen verheilte der Schnitt, durch den er eingepflanzt wurde, so gut, dass man ihn in der Tat kaum bemerkte. Vielleicht war das ein zusätzlicher Hinweis. »Wie alt war sie
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