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Eine unberührte Welt - Band 2 (German Edition)

Eine unberührte Welt - Band 2 (German Edition)

Titel: Eine unberührte Welt - Band 2 (German Edition)
Autoren: Andreas Eschbach
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unvermeidlich Reste wertvoller Atemluft in das Vakuum –, sie musste hinaus!
    Draußen war Nacht, aber ein abnehmender Jupiter hing riesig am Himmel, ein gewaltiger gelblicher Ball mit pastellartigen Streifen in roten und braunen Farbtönen, der die Landschaft mit samtenem Licht übergoss. Sie hätte diesen majestätischsten aller Planeten ewig anschauen können, ewig dem Spiel seiner Wolken, seiner filigranen, unablässig changierenden Wirbel folgend, das nichts ahnen ließ von der wirklichen Gewalt der Stürme, die in der Wasserstoff-Helium-Atmosphäre tobten und denen bisher kein von Menschen erbautes Raumfahrzeug standgehalten hatte.
    Aber sie würde ihn nicht ewig anschauen können. Ewig war entschieden das falsche Wort.
    Was für ein einsamer Platz dieser Mond war. Nicht einmal die Geborgenheit einer Felsnische gab es, nicht einmal eine Bergwand, hinter die man sich hätte ducken können gegen die sternenvolle Leere, in die man hinaufsah. Der Untergrund war flach von Horizont zu Horizont, eine schutzlose, nackte Ebene, auf der sie stand wie ein verlorenes Kind. Von außen betrachtet sah das Zelt aus wie ein Akt der Verzweiflung.
    Was es im Grunde ja auch war. Joan wandte sich um, setzte sich in Richtung auf die Rettungskapsel in Bewegung, mit vorsichtigen, kleinen Schritten. Europa war ein Himmelskörper, der fast so groß warwie der Erdmond, aber nur zwei Drittel von dessen Masse hatte. Man wog fast nichts hier. Wäre es anders gewesen, sie hätte nicht einmal den Absturz überlebt.
    Wieder umrundete sie die Kapsel, die schwarz und schief in den Untergrund gebohrt dalag, geborsten von der Wucht des Aufpralls. Eine leere, nutzlose Hülle. Wieder berührte sie die großen Löcher in der Wandung der Vorratssektion, verbogenes Plastmetall, aufgewölbt wie Blumenblüten. Der Meteor, der das Raumschiff getroffen hatte, war in einem so raffinierten Einschlagswinkel gekommen, dass er nicht nur die Abschirmung des Antriebs, sondern danach auch noch fast alle Notpakete der Rettungskapsel erwischt hatte.
    Aber wie man es drehte und wendete, schuld war einfach Dummheit gewesen. Nachlässigkeit. Fahrlässigkeit. Irgendwann – so weit in der Zukunft, dass es sie nicht mehr zu interessieren brauchte – würde es eine offizielle Untersuchung geben, die aber zu keinem anderen Urteil kommen konnte. Sie, Pilotin Joan Ridgewater, hatte grob fahrlässig gegen mindestens zwei Dutzend Regeln und Richtlinien verstoßen. Regeln, die in über hundert Jahren Weltraumfahrt entstanden waren und sich unzählige Male bewährt hatten. Regeln, die so grundlegend und selbstverständlich waren, dass die Strafen für Verstöße dagegen in den meisten Handbüchern nicht einmal mehr erwähnt wurden. Weil, wie man an ihrem Beispiel sah, die Strafe geradezu naturgesetzmäßig folgte, ohne dass es eines menschlichen Richters bedurfte.
    Sie richtete sich seufzend auf und ließ den Blick schweifen. Graublaues Eis, soweit das Auge reichte, und es reichte weit. Die Oberfläche Europas war von einem jahrmillionenalten Eismantel bedeckt, der kaum Konturen herausgebildet hatte. Der einzige Fixpunkt, den sie hatte, war eine langgezogene Andeutung von Hügel, bestimmt nicht einmal hundert Meter hoch, der sich am Horizont hinzog wie ein eingefrorener Wurm.
    In Richtung auf diesen Hügel lagen die wenigen Trümmer des Raumschiffs zerstreut, die nach der Explosion des Antriebs davon übriggeblieben waren. Sie hatte sie alle abgesucht in der Hoffnung, etwas Nützliches zu finden, ein paar Sauerstoffpatronen beispielsweise oderein richtiges Lebenserhaltungssystem, oder Energiezellen. Sie hatte in den letzten Tagen mehrmals geträumt, sie hätte eine große Energiezelle gefunden und sich daraus einen Elektrolyseapparat gebaut, um aus dem Eis Europas Sauerstoff zu erzeugen. Doch immer in dem Moment, in dem sie den ersten tiefen Atemzug nehmen wollte, war sie aufgewacht.
    Es war absolut sinnlos, die Trümmer noch einmal abzulaufen. Es kostete nur wertvolle Atemluft, und es würde nichts bringen. Eine Kiste voller Gabeln hatte sie in dem einen Teil gefunden, und eine Dose Schmierseife. Einen elektrischen Handbohrer und eine Auswahl von Ersatzrohrstücken für die Wasserversorgung in einem anderen. Weiter nichts. Sinnlos, wie gesagt. Aber sie musste es einfach tun, ein letztes Mal.
    Kleine, geröllartige Steine knirschten unter ihren federleichten Schritten, als sie eine breite, dunkle Furche überquerte, die sich ebenfalls endlos dahinzog und mit etwas anderem als
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