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Eine unbeliebte Frau

Titel: Eine unbeliebte Frau
Autoren: Nele Neuhaus
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Ähnliches hatte sie schon in Studentenkneipen gesehen. Zwei griechische Buchstaben, die in zwei ineinander verschlungene Hände übergingen. Ein Schwert durchbohrte die Hände. Sehr martialisch. Den Satz darunter konnte sie nicht entziffern.
    »Herr Dr. Kerstner«, begann Bodenstein, »sind Sie der Ehemann von Frau Isabel Kerstner?«
    »Ja«, erwiderte der Tierarzt überrascht und richtete sich unwillkürlich auf. »Warum fragen Sie das? Ist etwas passiert?«
    Seine Hände umklammerten die Lehne des Stuhles so fest, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten.
    »Fährt Ihre Frau einen silbernen Porsche Boxter?«, fragte Bodenstein. Kerstner starrte ihn mit undurchdringlicher Miene an, ohne sich zu rühren. Seine Kiefermuskulatur spannte sich an.
    »Wieso wollen Sie das wissen? Hatte sie einen Unfall?«
    »Wann haben Sie Ihre Frau zuletzt gesehen?« Der Tierarzt reagierte nicht auf die Frage. »Was ist denn passiert?«
    »Heute Morgen wurde die Leiche einer jungen Frau gefunden«, Bodenstein ließ die Details absichtlich aus, denn irgendetwas am Verhalten Kerstners machte ihn misstrauisch. »In ihrer Hosentasche wurde ein Autoschlüssel gefunden, der zu einem silbernen Porsche Boxter passt. Und dieser Porsche mit dem Kennzeichen MTK-IK 182 ist auf Ihre Frau zugelassen.«
    Das bleiche Gesicht des Mannes wurde bei Bodensteins Worten noch eine Spur blasser. Er starrte Bodenstein wie betäubt an, sein Gesichtsausdruck war leer und tranceartig, und das Ausbleiben jeglicher Reaktion ließ Bodenstein zuerst annehmen, sein Gegenüber habe ihn nicht verstanden.
    »Die Frau hat eine Tätowierung oberhalb des Bauchnabels.«
    »Einen Delphin«, murmelte Kerstner tonlos, »o Gott.«
    Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar, dann ließ er sich auf den Stuhl sinken und legte seine Hände vor sich auf die Tischplatte, beinahe so, als ob er an einer Seance teilnehmen würde.
    Bodenstein und Pia wechselten einen raschen Blick.
    »Wären Sie so freundlich, uns nach Frankfurt zu begleiten, um Ihre Frau zu identifizieren?«, fragte Pia den Tierarzt. Es dauerte wieder ein paar Sekunden, so als ob er das Gehörte erst einmal begreifen müsste. Dann erhob er sich abrupt und ging zur Tür. Im Gehen zog er den grünen Kittel aus und ließ ihn achtlos auf den Boden fallen. Der rothaarige Feldwebel mit Mopsgesicht öffnete in dem Augenblick die Tür, ohne vorher angeklopft zu haben.
    »Micha, ich ...«, begann sie, verstummte aber, als sie die versteinerte Miene ihres Chefs sah. Der rothaarige Mops und der Doktor schienen miteinander auf vertrautem Fuß zu stehen.
    »Ich muss weg«, sagte Kerstner. »Isabel ist tot.«
    »Das ist nicht wahr!«, sagte der Mops, und Bodenstein glaubte, sie zweifelte daran, dass die Frau tot sein könnte, aber ihre nächsten Worte belehrten ihn eines Besseren.
    »Du kannst doch jetzt nicht einfach wegfahren! Das Pferd ist noch nicht aus der Narkose aufgewacht, und .«
    »Ruf Georg an«, unterbrach Kerstner sie schroff und ging zur Tür hinaus.
     
    Kerstner sprach während der Fahrt zum Rechtsmedizinischen Institut in Sachsenhausen kein Wort, saß nur da, blicklos und stumm, wie versunken in einer unheimlichen, abgrundtiefen Ruhe. Das Zentrum der Rechtsmedizin befand sich in einerstattlichen Villa aus der letzten Jahrhundertwende an der Kennedyallee. Schon von weitem sah Bodenstein den Auflauf der Presse mit Ü-Wagen und Massen neugieriger Reporter. Oberstaatsanwalt Hardenbachs sterbliche Überreste waren offenbar auch bereits eingetroffen.
    »Fahren Sie zum Kundeneingang«, sagte Pia und erntete dafür einen erstaunten und belustigten Blick ihres Chefs, als er verstand, was sie mit dieser Anspielung gemeint hatte. »Gleich die nächste links bis zu dem grünen Tor. Da lassen Sie mich raus.«
    Mit irgendeinem geheimen Trick öffnete Pia das Tor, und Bodenstein fuhr in einen Hinterhof, in dem drei Autos und ein Leichenwagen parkten. Wenig später betraten sie unbehelligt das Gebäude. Kerstner folgte Bodenstein und Pia stumm die Treppe hinunter in den Keller des Gebäudes, in dem sich die Sektionsräume befanden. In der Mitte des ersten Raumes stand eine Bahre mit einer Leiche, die von einem grünen Laken verdeckt wurde. Ein Mitarbeiter der Rechtsmedizin erschien im Türrahmen. Auf seinem Gesicht breitete sich ein erfreutes Lächeln aus.
    »Hi, Pia«, sagte er, »lange nicht mehr gesehen.«
    Bodenstein warf seiner Kollegin angesichts der vertrauten Begrüßung einen erstaunten Blick zu, den diese nicht
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