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Eine unbeliebte Frau

Titel: Eine unbeliebte Frau
Autoren: Nele Neuhaus
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Anschaffungen und Umbauten machen«, fuhr Kerstner fort. »Inka hatte zwar aus der Lebensversicherung ihres Vaters Geld bekommen, aber das reichte bei weitem nicht für das, was wir vorhatten. Um unsere Mittel nicht zu sehr zu strapazieren, beschlossen wir, am Personal zu sparen. Inkas Mutter machte die Buchhaltung, Georgs Frau arbeitete als Tierarzthelferin, und Isabel hätte den Empfang machen sollen.«
    Kerstner stieß einen Seufzer aus.
    »Daran war nicht zu denken.«
    »Wieso nicht?«, fragte Pia.
    »Sie konnte Georg nicht ausstehen«, antwortete Kerstner und rieb sich die müden Augen, »er sie übrigens auch nicht. Vor allen Dingen aber hatte sie sich wohl in finanzieller Hinsicht sehr viel mehr von mir versprochen. Ich hatte meine gesamten Ersparnisse in den Aufbau der Klinik gesteckt und muss oft fünfzehn, sechzehn Stunden am Tag arbeiten, auch an den Wochenenden. Das passte ihr nicht.«
    Er verzog gequält das Gesicht.
    »Ich habe lange um sie gekämpft«, Kerstner starrte vor sich hin, »auch wenn ich immer deutlicher spürte, wie gleichgültig ich ihr war. Dauernd gab es Krach, meistens wegen Geld. Sie verließ mich, kam wieder, verließ mich wieder . es war die Hölle.«
    »Wann hat Ihre Frau Sie verlassen? Und warum?«
    »Vielleicht, weil ich sie irgendwann nicht mehr zurückgehalten habe«, Kerstner zuckte die Schultern. »Ende Mai packte sie endgültig ihre Siebensachen, und als ich abends nach Hause kam, war sie weg. Mit Sack und Pack.«
    »Und Ihre Tochter hat sie mitgenommen?«, fragte Pia.
    »Zuerst nicht«, sagte Kerstner leise. »Sie hat sie vor ungefähr vierzehn Tagen vom Kindergarten abgeholt, und seitdem habe ich auch Marie nicht mehr gesehen.«
    Bodenstein beobachtete den Mann und versuchte zu analysieren, was er sah. Kerstner war am Boden zerstört, aber war es wirklich der Tod seiner Frau, der ihm die Tränen in die Augen trieb?
    »Wo wohnte Ihre Frau, seitdem sie Sie verlassen hatte?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Und Ihre Tochter? Wo ist sie jetzt?«
    Kerstner blickte auf, dann wandte er sein Gesicht sogleich wieder ab und starrte mit steinernem Blick auf seine Hände.
    »Das . das weiß ich auch nicht.«
    »Wann haben Sie Ihre Frau das letzte Mal gesehen?«, fragte Pia.
    »Gestern«, Kerstner flüsterte fast, »sie tauchte plötzlich in der Klinik auf.«
    Pia warf ihrem Chef einen raschen Blick zu.
    »Um wie viel Uhr?«, fragte Bodenstein.
    »Ungefähr um Viertel vor sechs«, erwiderte Kerstner, ohne aufzublicken. »Ich kam gerade aus dem OP, als sie auf mich zustürzte und sagte, sie müsse mit mir reden.«
    »Und was wollte sie von Ihnen?«
    Der Mann schüttelte nur stumm den Kopf.
    »Herr Dr. Kerstner«, sagte Pia sanft, aber nachdrücklich, »wir wissen, dass Ihre Frau um halb fünf nachmittags ihr Auto getankt hat, danach war sie bei Ihnen in der Klinik, undein paar Stunden später muss sie gestorben sein. Sie waren womöglich der Letzte, der sie lebend gesehen hat. Bitte antworten Sie auf die Frage.«
    Kerstner starrte stumm vor sich hin, beinahe so, als habe er gar nicht zugehört.
    »Haben Sie sich gestritten? Um was ging es? Sie muss ja irgendetwas Bestimmtes von Ihnen gewollt haben.«
    Schweigen.
    »Wo waren Sie gestern Abend?«, fragte Bodenstein. Plötzlich hatte sich die Situation völlig verändert. Vor seinen Augen war aus dem schockierten Witwer ein möglicher Mordverdächtiger geworden. Es gab ein Motiv, mehrere sogar. Zurückgewiesene Liebe, Enttäuschung, Eifersucht.
    »Sie müssen uns nichts sagen, was Sie belasten könnte. Möchten Sie einen Anwalt anrufen?«
    Da hob der Mann ungläubig den Blick.
    »Sie wollen doch nicht etwa sagen, ich hätte Isabel ...?«
    »Sie haben sie nur wenige Stunden vor ihrem Tod gesehen«, antwortete Bodenstein. »Ihre Frau hatte Sie verlassen. Sie wussten nicht, wo sie sich aufhielt. Wahrscheinlich waren Sie wütend und eifersüchtig.«
    »Nein, nein! Das stimmt nicht!«, unterbrach Kerstner ihn heftig. »Ich war nicht wütend auf sie und auch nicht eifersüchtig . nicht mehr.«
    »Wieso – nicht mehr?«
    »Weil«, begann er, verstummte dann aber.
    »Sagen Sie uns doch einfach, was Ihre Frau gestern von Ihnen wollte.«
    Kerstner biss sich auf die Lippen und senkte den Kopf. Und ganz plötzlich fing er an zu weinen. Es war das gequälte Schluchzen eines Verzweifelten, und er machte keinen Versuch, die Tränen, die ihm über das Gesicht strömten, abzuwischen.

Montag, 29. August 2005
    Die Woche begann mit einer Besprechung sämtlicher
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