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Eine tödliche Erinnerung (German Edition)

Eine tödliche Erinnerung (German Edition)

Titel: Eine tödliche Erinnerung (German Edition)
Autoren: Fiona Limar
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wie mir zusammen arbeiten wollte. Auf meine locker in den Raum geworfene Bemerkung, dass ich die Stelle auch gern antreten wollte, hatte ich daher keine ernsthafte Resonanz erwartet.
    Und doch arbeiteten wir nun schon seit drei Monaten in der Gemeinschaftspraxis. Ruth hatte bei der Begründung ihrer Entscheidung viele lobende Worte für mich gefunden: Ich würde über Intuition und Einfühlungsvermögen verfügen, eine ausgesprochene Begabung für die Technik der klinischen Hypnose besitzen und zu wissenschaftlichem Denken und Arbeiten fähig sein. Das von einer Person wie Ruth Rosenzweig zu hören, war Ansporn und Bürde zugleich. Seither lebte ich in der ständigen Angst, sie zu enttäuschen.
    Als ich an diesem Morgen endlich in der Praxis ankam, war ich jedenfalls froh darüber, dass sie meine Verspätung nicht bemerkt hatte. Meinen ersten Termin hatte ich natürlich verpasst. Zum Glück war der Patient sehr nachsichtig mit mir gewesen. Schnell hatten wir einen Ersatztermin gefunden. Danach stürzte ich mich in die Arbeit und blieb im Laufe des Tages von weiteren unliebsamen Zwischenfällen verschont. So kam es, dass ich am Abend kaum noch an die Begegnung mit Melissa dachte.

3.
    Umso überraschter war ich, sie bereits am nächsten Morgen wiederzusehen. Melissa stand im Vorraum und schaute sich unsicher um. Als sie mich sah, wirkte sie beinahe erschrocken. Doch sie fasste sich schnell wieder und trat entschlossen auf mich zu. Mit einem schüchternen Lächeln überreichte sie mir einen wunderschönen Blumenstrauß.
    "Noch einmal vielen Dank für deine Hilfe", sagte sie. "Ich habe mich entschieden, deine Patientin zu werden. Deshalb bin ich gleich heute gekommen, weil ich es mir sonst vermutlich wieder überlegt hätte." Nachdem ich ihr für die Blumen gedankt hatte, wollte ich einen Termin vereinbaren.
    "Im Dezember könnte noch etwas frei sein", versicherte ich und schickte mich an meinen Kalender zu holen. Doch Melissa hinderte mich daran. Sie ergriff meinen Arm und hielt ihn krampfhaft fest. "Im Dezember sagst du? Aber das ist doch viel zu spät! Wie soll ich es bis dahin aushalten? Es hat mich unendlich viel Überwindung gekostet, überhaupt hierher zu kommen. Wie soll ich das ein zweites Mal schaffen? Und dann auch noch nach so langer Zeit!" Sie wirkte wie ein verängstigtes Kind und tat mir plötzlich leid. Zwar hatte ich gerade eine Freistunde, die allerdings fest für dringende Schreibarbeiten eingeplant war. Obwohl es mich zeitlich in Schwierigkeiten bringen würde, beschloss ich, sie Melissa zu opfern.
    "Dann komm am besten gleich mit in mein Zimmer", forderte ich sie auf. Normalerweise duze ich meine Patienten nicht. Blieb jedoch die professionelle Distanz ansonsten gewahrt, sprach in Ausnahmefällen auch nichts dagegen. Dies war ein solcher Fall. Hätte es doch zu unnötigen Irritationen geführt, wenn ich plötzlich zum Sie übergegangen wäre. Außerdem gab mir Melissa zu verstehen, dass es gerade dieses Gefühl von spontaner Vertrautheit gewesen sei, das ihr den Schritt in meine Praxis erleichtert hatte.
    Nun war sie also da und während sie mir gegenüber im Sessel Platz nahm, musterte ich sie unauffällig. Bereits bei unserer ersten Begegnung hatte ich sie als sehr hübsch empfunden. Jetzt musste ich feststellen, dass es sich dabei schlechthin um eine Untertreibung gehandelt hatte. Melissa war viel mehr als nur hübsch. Sie war eine vollkommene Schönheit. Sie hatte eine phantastische Figur, die durch eine hautenge Jeans und einen schlichten schwarzen Pullover auf das Vorteilhafteste zur Geltung gebracht wurde. Ihr Gesicht wies klassische Proportionen auf: Der Mund war schön geschwungen, die Nase schmal und edel geformt. Unglaublich üppiges Haar mit einem feurig goldenen Glanz fiel anmutig gewellt bis fast zu ihrer Taille herab. Doch das Auffälligste an Melissa waren ihre Augen, deren Farbe sich nur schwer bestimmen ließ. Sie wechselte je nach Lichteinfall von einem warmen Bernsteinton über Graugrün bis zu undurchdringlichem Schwarz. Wie zwei Leuchtfeuer beherrschten sie das vollkomme Oval ihres Gesichts.
    Rein äußerlich hatte Melissa einfach alles, was sich eine Frau nur wünschen konnte. Und doch hatte ich das Empfinden, ihr würde etwas Entscheidendes fehlen. Es gab nicht die geringste Abweichung von der Symmetrie, nicht den kleinsten Makel, der ihrem Gesicht eine individuelle Note oder einen pikanten Reiz verliehen hätte. Dadurch wirkte sie auf mich steril und nahezu leblos, wie eine
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