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Eine Rose im Winter

Eine Rose im Winter

Titel: Eine Rose im Winter
Autoren: Kathleen E. Woodiwiss
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sich eingenommenen Einfaltspinseln zu zeigen, daß sie mehr gelernt und ganz gewiß bessere Manieren hatte als jene, wäre jedoch bei einem solchen Versuch von ihrem Vater streng gescholten worden.
    Avery Fleming erachtete es als unnötig und unklug für jede Person des schwachen Geschlechts, mehr zu lernen als die Notwendigkeiten weiblicher Pflichten oder etwa sogar Schreiben und Rechnen. Wäre nicht das mütterliche Erbteil gewesen und ohne deren eigenwilligen Beharrlichkeit, hätte die Tochter nie den Luxus einer gelehrten Unterweisung genossen. Angela Fleming hatte sorgsam einen Teil ihres eigenen Geldes zurückgehalten, um sicher zu sein, daß damit ihre Tochter zu einem gebildeten Mädchen erzogen wurde; und Avery konnte sich unmöglich dagegen auflehnen. Schließlich mußte er bedenken, daß er in seiner Ehe den größten Teil dieser Mitgift für sich verwendete, um seinen vielen Leidenschaften zu frönen. Obwohl die gleiche Großzügigkeit Farrell zugute kam, bewies der Bursche schon nach wenigen Monaten an einem Seminar für fortgeschrittene Schüler eine deutliche Abneigung gegen ›aufgeblasenes Predigen und ungerechte Erziehungsweisen von einem Haufen fader alter Männer‹. Damit gab er die Laufbahn eines gelehrten Mannes auf und kehrte nach Hause zurück, um das ›Gewerbe seines Vaters‹ zu erlernen, was immer das sein mochte.
    Wie ein nach Futter suchendes Reh durchstreiften Eriennes Gedanken die langen Monate seit dem Tod ihrer Mutter. Sie erinnerte sich vieler Stunden, die sie allein verbrachte, während ihr Vater und Bruder Karten spielten oder mit einigen Männern aus dem Ort tranken, oder anlässlich einer Reise nach Wirkinton mit den Matrosen und Seeleuten im Hafen lange Abende verbrachten. Ohne das sorgsame Haushalten seiner Frau Angela schwand der bescheidene Reichtum der Familie schnell dahin, und schon bald wurde die Börse immer enger zugezogen; und die wiederum ließ den Vater immer stärker darauf drängen, daß Erienne heiraten müsse. Der kritische Punkt in diesem Fortgang ergab sich durch ein Duell, in dem ihr Bruder verwundet wurde. Seitdem hing sein rechter Arm herab, der Ellbogen war völlig verdreht und die Hand schwach und beinahe nicht mehr zu gebrauchen. Von da an erschien Avery wie besessen von einem fieberhaften Drang: Er mußte einen reichen Ehemann für sie finden.
    Ein jäher Zorn stachelte Erienne in ihren Erinnerungen auf, und mit dieser Herausforderung wurden ihre Gedanken schneller.
    »Und da ist einer, den ich mir gerne vorknöpfen würde«, zischte sie voll Grimm in den Raum. »Christopher Seton! Yankee! Erpresser! Spieler! Wüstling! Schwindler!« Welchen Namen sie auch wählte, jeder schien zu passen. Ja, wirklich, einige Titel des Stammbaums seiner Familie schwirrten durch ihr Gedächtnis, und sie kostete den Geschmack eines jeden aus.
    »Ach, ihm von Angesicht zu Angesicht zu begegnen!« Sie stellte ihn sich vor: mit engstehenden Augen und einer schmalen, gebogenen Nase, glattem Haar, das ihm unter dem Rand eines Dreispitzes in die Stirn fiel, schmalen, zusammengepressten Lippen, die sich zu einem grausamen, lüsternen Lächeln öffneten und kleine gelbliche Zähne enthüllten. Eine Warze unten am fliehenden Kinn vervollständigte ihre Schöpfung. Das Bild dieser Züge war ein Genuss, als sie es schließlich auf einen dünnen und knochigen Körper setzte.
    Oh, wenn sie diesem Mann nur begegnen könnte! Auch wenn es ihr nicht gelänge, ihm in einem Kampf überlegen zu sein, so konnte sie sich doch gewiß an den ihm beigebrachten Wunden seiner Gelassenheit weiden. Einige Zeit würden ihn die Wunden schmerzen, die sie ihm mit Worten beigebracht hätte. Und dann überlegte er es sich wohl zweimal, ehe er seine Wut an einem einfältigen Tölpel auslassen oder sich an einem Älteren messen würde.
    »Wäre ich ein Mann«, sie sprang in Fechtstellung und schwang die weit ausgestreckte Hand, als hielte sie ein messerscharfes Rapier, »dann würde ich ihm das beibringen!« Sie stach zu, einmal, zweimal, dreimal, dann setzte sie die Spitze ihres gedachten Rapiers an die Kehle ihres Opfers und zuckte damit quer durch den Hals. Behutsam wischte sie die Klinge ihres Rachegedankens ab und versenkte sie in der gleichermaßen nur in Gedanken bestehenden Scheide. »Wäre ich ein Mann«, sie streckte sich und sah gedankenvoll aus dem Fenster, »ich würde mir schwören, daß dieser Prahlhans seine Missetaten erkennen lernte und von nun an sein Glück in einem anderen Winkel der
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